Abstract: In diesem Beitrag wird die Bedeutung von Anonymität für die allgemeine Wahrnehmung und die Wahrnehmung von Geschlechtlichkeit untersucht. Im Ausgang der Phänomenologie Merleau-Pontys und mit Blick auf den Begriff der Singularität bei Deleuze wird Anonymität als latenter Untergrund der Existenz ausgemacht. Erst durch die Sinnesorgane wird die anonyme Existenz des Körpers überschritten, und so erscheint Anonymität jenseits der Organisation des Körpers als eines Funktionszusammenhangs strukturierter, signifizierter und unterschiedlich privilegierter Schichten. Ausgehend von Anonymität wird das personale Leben als eine Übernahme von Situationen und als Wechsel zwischen anonym-singulärem und personal-individuellem Leben des Menschen sichtbar. Auch Geschlechtlichkeit wird so als Eintritt in geschlechtlich geprägte Situationen und als eine vieldeutige Spannung zwischen anonymer Existenz und Sein in Situationen deutlich. In diesem Sinne erweist sie sich als eine Übernahme von Situationen aus der Anonymität heraus und ihrer Ausgestaltung sind entsprechende Freiheitsgrade zuzuschreiben.
1 Die Anonymität der leiblichen Existenz ist ein zentraler Aspekt der phänomenologischen Konzeption von Leiblichkeit bei Maurice Merleau-Ponty. Mit dem Begriff der Anonymität markiert dieser eine verborgene, latente Seite der Existenz, mit der das reflexiv-personale Leben eng verflochten ist. Anonymität ist hier nicht etwa nur ein indifferenter Seinsgrund, der hinter sich abhebenden Bestimmungen zurücktritt, sondern eine ontologische Dimension, die das Sein umfassend durchwirkt.[1] Für die Frage der Geschlechtlichkeit ist Merleau-Pontys Konzeption der Anonymität nicht nur von besonderer Bedeutung, weil sie eine geschlechtliche Unbestimmtheit des Subjekts als stets gegenwärtig voraussetzt und Geschlechtlichkeit damit als eine werdende, d.h. sozial und kulturell erzeugte Bestimmung ausweist. Anonymität wird hier vielmehr als ein allgemeineres Prinzip verstanden, in dem die prozessuale Differenzierung und die differentielle Verflechtung verschiedener Sphären des Seienden und damit die Entstehung von Geschlechtlichkeit und Geschlechterdifferenz überhaupt erst deutlich wird.[2] Im Folgenden soll betont werden, dass der Begriff der Anonymität für die Geschlechterfrage vor allem interessant ist, weil sich mit ihm eine Widerständigkeit gegen die ordnenden Zurichtungen des Subjekts bestimmen lässt, die diesem Freiheitsspielräume seiner geschlechtlichen Existenz und seines geschlechtlichen Ausdrucks einräumt. Die Begriffe der Singularität und des singulären Lebens, wie sie von Gilles Deleuze entfaltet wurden, ergänzen eine solche Interpretation von Anonymität als eines Freiheitsspielraums des Subjekts und werden daher im Folgenden mit der Konzeption der Anonymität bei Merleau-Ponty in Verbindung gebracht.
2 Merleau-Pontys Begriff der Anonymität soll also zunächst von seinem singulären Charakter her und als eine Form der Unbestimmtheit des Subjekts dargestellt werden, die die Emanzipation von subjektivierenden Ordnungen erlaubt. Als solche ist sie gleichzeitig auch eine allgemeine Dimension der Existenz, von der das personale Leben in den exemplarischen Momenten des Geborenwerdens und des Sterbens eingeholt wird. Von dieser Bestimmung aus soll Anonymität als Frage der Geschlechtlichkeit behandelt und es soll gezeigt werden, wie sich Geschlechtlichkeit als Situation erst von der Anonymität der Leiblichkeit abhebt und durch diese in ihrer Wirkungsmacht neutralisiert werden kann.
3 Das griechische anónymos bestimmt, was ohne Namen bleibt, an- als nicht, un- und ónoma, ónyma weisen auf das Ungenannte und Nichtgenannte und damit auch auf das Allgemeine und Unpersönliche hin. Einen Namen verliehen zu bekommen bedeutet hingegen, sichtbar, identifizierbar und der vorindividuellen Verfasstheit des neugeborenen Lebens entwunden zu werden. Im Namen wird Unbestimmtheit eingeholt, und die Praxis der Namensgebung verläuft entlang eines Ordnungsgeschehens, durch das das allgemeine, anonyme Leben, das wir sind, in ein individuelles, personales Leben, das wir zu führen haben, übergeht. Dabei ist die personenstandsrechtliche Vorschrift eindeutig weiblich und männlich konnotierter Vornamen nur eine erste Instanz der Transformation jener anonymen Entität, die wir am Anfang des Lebens als Neugeborene wie auch am Ende des Lebens als Sterbende sind. Die Anonymität neugeborenen Lebens wird erst zum individuellen Leben in personaler Identität, während das individuelle Leben des Sterbenden einem anonymisierenden Vorgang allgemeinen Lebens weicht. Für Merleau-Ponty sind gerade diese Ereignisse an der „Peripherie meines Seins“ (Merleau-Ponty 1966: 253) der Inbegriff vorpersonaler, anonymer Horizonte am Rande des personalen Lebens, und sie sagen etwas über den allgemeinen Charakter der Wahrnehmung aus.
„Das Subjekt, das ihre Erfahrung macht, beginnt und endet mit ihr, und da es weder sich selbst vorweg sein noch sich überleben kann, erscheint die Empfindung notwendig sich selbst in einem Milieu der Allgemeinheit, entstammt sie einem Diesseits meiner selbst, gehört sie einer Sensibilität zu, die ihr schon vorangegangen ist und sie überleben wird, wie meine Geburt einer anonymen Natalität, mein Tod einer anonymen Mortalität zugehört.“ (Merleau-Ponty 1966: 253)
4 Die Ereignisse der Geburt und des Todes verdeutlichen, dass jede Empfindung, die nicht auf unsere personalen Akte zurückgeht, von einer gewissen Anonymität ist, und paradoxerweise sind gerade die intimsten Dimensionen des sinnlichen Lebens, ist gerade das intensivste Erleben des Ich, das Hier und Jetzt von solcher Anonymität geprägt.
5 Sterben und Geborenwerden treten hervor als Ereignisse, die von jeder Subjektivität befreit sind, als Ereignisse, die nicht individuell sind, aber doch nur dem je Einzelnen widerfahren. Gilles Deleuze spricht in diesem Sinne von singulärem Leben und meint damit, dass Sterben und Geborenwerden singuläre Ereignisse sind, in denen sich individuelles Leben in singuläres Leben und singuläres Leben in individuelles Leben transformiert. Wir stoßen auf solchermaßen singuläres Leben nun aber nicht nur in den absoluten Ereignissen der Geburt und des Todes, wenngleich es hier in seine deutlichste, freud- wie leidvolle Erscheinung tritt. Wir finden es überall, in allen Erscheinungen und Aktualisierungen des individuellen wie des allgemeinen, des subjektiven wie des objektiven Lebens. Anonymität ist in diesem Sinne nicht nur das Nichtvorhandensein von Namen, sondern Anonymität ist ein Vermögen ohne Namen, ein Vermögen, das keinen Namen hat. Diese Anonymität steht jenseits der Ordnungen, die den Körper als organisierten Funktionszusammenhang signifizieren und nach unterschiedlich privilegierten Schichten (wie z.B. Gesicht und Geschlecht) strukturieren. Höchste Singularität wird erreicht in der Emanzipation des Lebens von diesen subjektivierenden Ordnungen. Diese Singularität wäre zu markieren durch einen Begriff, der es erlaubt, eine anonyme Existenz von der unbestimmt strömenden Mannigfaltigkeit des Empirischen her zu denken, die sich ordnenden Gliederungen und Zuschreibungen entzieht. Ein Begriff, der es ermöglicht, von anonymen Ereignissen zu sprechen, die das singuläre Leben als eine immanente Ebene der Erfahrung erschaffen und die die Wirklichkeit im Werden erkennbar werden lassen.
6 Die Dimension der Anonymität im Wahrnehmungsgeschehen zu suchen erscheint auf den ersten Blick paradox, da gerade die Wahrnehmung von unmittelbarer Qualität zu sein und stets das Subjekt als erste Person zu betreffen scheint. Es gibt aber eine anonyme Seite der Existenz, die mit unserer personalen Seite aufs Engste verwoben ist, und sie geht in Sinnzusammenhänge ebenso ein, wie sie sich diesen entziehen kann. Merleau-Ponty drückt dies im Folgenden sehr deutlich aus:
„Es gibt also, mir zugrunde liegend, ein anderes Subjekt, für das eine Welt schon existiert, ehe ich da bin, und das in ihr meinen Platz schon markiert hat. Dieser gefangene oder natürliche Geist ist mein Leib, nicht allerdings der augenblickliche Leib, der das Werkzeug meiner persönlichen Wahl ist und auf diese oder jene Welt sich fixiert, sondern das System der anonymen ‚Funktionen‘, in dem jede Sonderfixierung schon eingefaßt ist in einen allgemeinen Entwurf.“ (Merleau-Ponty 1966: 296)
7 Der Leib, den Merleau-Ponty hier wie ein anderes Subjekt in mir selbst bestimmt, bin ich selbst, ist mein Leib als gegebene anonyme Instanz, die mich immer schon in der Existenz situiert. Wir haben es hierbei ebenso wenig mit einer ursprünglichen, vorgängig fundierenden Natürlichkeit zu tun wie mit einer vorreflexiven Erfahrung, die auf möglichen norm- und sinnfreien Gegebenheiten beruhen würde. Die Anonymität der leiblichen Existenz steht in allen Sinnzusammenhängen, wird aber nie vollständig von diesen durchformt, sondern bleibt in einer je aktualisierbaren Latenz.
„Auch im normalen Zustand, selbst engagiert in mitmenschliche Situationen, behält das Subjekt, sofern es einen Leib hat, stets das Vermögen, sich ihnen zu entziehen. Im gleichen Augenblick, in dem ich in der Welt lebe, meinen Plänen und Beschäftigungen, meinen Freunden, meinen Erinnerungen hingegeben und zu ihnen mich verhaltend, kann ich die Augen schließen, mich ausstrecken, das Blut in meinen Ohren pochen hören, vergehen in Freude oder Schmerz, mich in jenes anonyme Leben verschließen, das mein personales Leben trägt.“ (Merleau-Ponty 1966: 197)
8 Die Betonung einer anonymen Dimension des Lebens ist für Merleau-Ponty vor allem auch eine Kritik am Intellektualismus, der die Welt verfügbar vor sich ausgebreitet und das souveräne Subjekt in transparenten Akten mit dieser umgehen sieht.[3] Merleau-Ponty verdeutlicht den Entzugscharakter dieses anonymen Lebens z.B. anhand der Situation des Einschlafens. Die Heimsuchung durch den Schlaf beschwören wir herauf, indem wir ihn darstellerisch vorwegnehmen und die Haltung des Schlafenden einnehmen. In dem Moment, in dem wir uns von dieser Darstellung und der gespielten Rolle nicht mehr unterscheiden, sondern in ihr aufgehen, hat der Schlaf uns erreicht und eingeholt. Doch ist er kein Zustand totaler Verschlossenheit, sondern in ihm bleibt ein Übergang zur Welt durch die „anonyme Wachsamkeit der Sinne“ (Merleau-Ponty 1966: 196). Sie halten das Band, das uns wieder eintreten lässt in die Welt, sie engagieren uns wieder in Situationen und gewährleisten, dass wir nicht von der Welt abgeschnitten sind, sondern über die Freiheit zum Sein in Situationen verfügen. Erst durch seine Sinnesorgane kommt der Mensch zur Welt und unterscheidet sich vom Status eines reinen Dings. Durch sie überschreitet die anonyme Existenz eines Leibes sich selbst und ist von einer Strömung durchwirkt, die unaufhörlich auffordert zu leben und wahrzunehmen. In der Anonymität des Leibes ist sein Bezug auf die Welt vorgezeichnet, und im Rückzug auf diesen Leib finden wir die Vermögen wieder, die ihn zur Welt öffnen. Anonymität ist also stets latent gegeben und begleitet das allgemeine Wahrnehmungsleben, d.h. aber nicht, dass sie als eine autonome Instanz zu verstehen ist, die uns steuern und beherrschen würde.
9 Das transzendentale Subjekt hat mit vorintentionalen Ereignissen und Widerfahrnissen ebenso zu rechnen wie mit Atmosphären, die seine dingliche Einzelnheit in der Wahrnehmung überschreiten und es in einer außerkategorialen Mannigfaltigkeit aufgehen lassen. „Jede Wahrnehmung“, so schreibt Merleau-Ponty, „findet in einer Atmosphäre von Allgemeinheit statt und gibt sich uns als anonyme. Ich kann nicht in demselben Sinne sagen, ich sehe das Blau des Himmels, wie ich sage, ich verstehe dieses Buch, oder entschließe mich, mein Leben der Mathematik zu widmen.“ (Merleau-Ponty 1966: 253) Merleau-Ponty hebt die sinnliche Wahrnehmung nicht nur dezidiert von den Bewusstseinsakten ab, sondern markiert damit auch, dass Wahrnehmungen, wie die des blauen Himmels, sich in einer gegebenen anonymen Situation ereignen, während personale Akte Situationen erst erschaffen. So müsste man im ersteren Falle streng genommen sagen, „daß man in mir wahrnimmt, nicht, daß ich wahrnehme. Jede Empfindung trägt in sich den Keim eines Traumes und einer Entpersönlichung: wir erleben es an dem Betäubungszustand, in den wir geraten, wenn wir uns gänzlich einem Empfinden überlassen.“ (Merleau-Ponty 1966: 253) Diese Entpersönlichung wird dann im Spätwerk weiter radikalisiert: „Ich, das ist in Wirklichkeit ein Niemand, es ist das Anonyme; es muß so sein, jeder Objektivierung, jeder Benennung voraus, um Fungierender zu sein oder derjenige, dem all dies zustößt.“ (Merleau-Ponty 1986: 310) Die Unterminierung der transzendentalen Stellung des Subjekts wird durch dessen Situierung inmitten eines allgemeinen Weltstoffs („chair“) radikalisiert. Merleau-Ponty verleiht der Anonymität damit endgültig einen universalen Charakter, der das Verhältnis von Wahrnehmendem und Wahrgenommenem auf einer ontologischen Ebene betrifft. Das bedeutet, dass er diesen anonymen Elementarbegriff im Sinne eines ontologischen Monismus anlegt, in dem die einzelnen Seinssphären in ein Verhältnis detranszendentaler und differenzieller Verschränkung gesetzt und als eine horizontale Verflechtung („entrelacs“) vorgeführt werden. Die Sphären des Körpers und der Dinge, des Sichtbaren und des Unsichtbaren, des Bewusstseins und der Objekte sind hier horizontal verbunden und reversibel ineinandergeblendet. Merleau-Pontys anonymer Weltstoff ist nun aber nicht einfach eine Materie, sondern er ist vielmehr als eine differenzielle und reversible Bewegung zu verstehen, in der die jeweils andere Seite einer Unterscheidung mit aufgerufen wird. In der Gleichursprünglichkeit von Subjekt und Objekt wird deren Differenz weder zurückgewiesen noch einfach ineinander überführt, sondern als doppelte Ansicht verschiedener Seiten eines Phänomens in horizontaler Verflechtung aufrechterhalten. Mit diesem Modell des Chiasmus wird die dualistische Fundamentalunterscheidung von Ausdehnung und Denken zurückgewiesen, nicht weil das eine sich im anderen aufheben ließe, sondern weil sie in einem sich bedingenden reversiblen, differenziellen Verhältnis stehen. Jede vermeintliche Eindeutigkeit eines Wesens oder einer Substanz wird durch diese Faltung einer fortlaufenden Verschiebung unterworfen und einem Differenzierungsgeschehen ausgesetzt, das sich im Sein selbst ereignet.
10 Die Simultaneität von Subjekt und Welt wird zur Grundlage der Teilhabe am Sein gemacht, und für die Wahrnehmung heißt das, „das Empfinden nicht mehr in erster Linie durch seine Zugehörigkeit zu ein und demselben ‚Bewusstsein‘“ zu definieren, „sondern es im Gegenteil als Rückkehr des Sichtbaren zu sich selbst, als fleischliches Verhaftetsein von Empfindendem und Empfundenem, von Empfundenem und Empfindendem“ (Merleau-Ponty 1986: 187). In der Betrachtung der Landschaft durch zwei Betrachter
„geht das, was ich sehe, durch die einstimmige Tätigkeit seines Leibes und meines eigenen in ihn über, dieses individuelle Grün der Wiese vor meinen Augen dringt in sein Sehen ein, ohne mein eigenes zu verlassen; ich erkenne in meinem Grün das seine wieder, so wie der Zöllner dort im Spaziergänger plötzlich den Mann wiedererkennt, den man ihm signalisiert hat. Hier gibt es kein Problem des alter ego, weil nicht ich sehe und nicht er sieht, sondern weil uns beiden eine anonyme Sichtbarkeit und ein Sehen im Allgemeinen innewohnt.“ (Merleau-Ponty 1986: 187)
11 In dieser Einlassung des Wahrnehmenden in das anonyme Wahrgenommene und in eine allgemeine Sichtbarkeit, wie Merleau-Ponty sie mit ständigem Blick auf den privilegierten Sehsinn darstellt, wird die ganze Bedeutung der Anonymität deutlich. Das personale Leben ist in diesem Sinne eine Übernahme gegebenen Seins, die sich durch den Körper und als Leiblichkeit realisiert. Die Bedingung der Möglichkeit dieser Metamorphosen zwischen anonym-singulärem und personal-individuellem Leben des Menschen ist seine Leiblichkeit (und damit sind für Merleau-Ponty auch die Sinne gemeint), denn erst in ihr kann sich der Mensch verschließen und öffnen, und erst durch sie ist er auf die Welt hin geöffnet und in Situationen gestellt. Für das Neugeborene ist ein solches Verfügen über Situationen noch nicht möglich, für den Sterbenden ist es nicht mehr möglich. Beide unterstehen der Anonymität ihrer Leiblichkeit und sind ihrem anonymen Leben unterworfen, statt darüber zu verfügen und es führen zu können. In beiden Fällen haben wir es, wie Deleuze festhält, zwar nicht mit Individualität, wohl aber mit Singularität zu tun. „So ähneln einander etwa die Kinder im frühesten Alter und besitzen kaum Individualität, aber sie haben Singularitäten, ein Lächeln, eine Geste, eine Grimasse, Ereignisse, die keine subjektiven Merkmale sind.“ (Deleuze 1996: 31f.)
12 Merleau-Ponty nutzt den Begriff der Anonymität aber nicht nur, um die Anonymität des Leibes als eine Dimension der Existenz zu bestimmen.[4] In seiner Charakterisierung einer doppelten Anonymität wird deutlich, was für seine Wahrnehmungslehre insgesamt gilt: Sie vermittelt die subjektiven und die objektiven Dimensionen des In-der-Welt-Seins in ihrer Gleichursprünglichkeit, öffnet das Subjekt und sein fungierendes Wahrnehmungsgeschehen in fundamentaler Weise für das, was von der Welt her in es eingeht und weist damit jede Annahme eines An-sich-Seins und jede Annahme einer ursprünglichen Wesenhaftigkeit zurück. Die Sphäre der Generalität ist die einer „Anonymität des Man“ (Merleau-Ponty 1966: 511), und die doppelte Anonymität ist nun einerseits eine singuläre Bindung des Subjekts an die Disposition seiner anonymen Leiblichkeit und andererseits die generalisierende Bindung an eine allgemeine Horizontstruktur des Weltbezugs.
„Mein Leben muß einen Sinn haben, den ich nicht konstituiere, es muß in strengem Sinne Intersubjektivität sein, ein jeder von uns muß in eins anonym im Sinn absoluter Individualität und anonym im Sinne absoluter Generalität sein. Konkreter Träger dieser doppelten Anonymität ist unser Sein-zur-Welt.“ (Merleau-Ponty 1966: 509)
13 Wir finden diese Anonymität nicht nur in den Horizonten der Welt und der Intersubjektivität, sondern anonym sind wir selbst, denn im Akt der Wahrnehmung treten wir hinter das Ereignis der Wahrnehmung zurück. Merleau-Ponty zeigt den Vollzug der Wahrnehmung von seiner unbestimmten Dichte und Tiefe und von seinem unbestimmten Überschuss her, und so verdeutlicht der Begriff der Anonymität auch, dass wir es in der Wahrnehmung stets mit einem Überschuss zu tun haben, der für das Wahrnehmungsgeschehen konstitutiv ist. Unterschieden wird dabei zwischen einer relativen und einer absoluten Anonymität, wobei im ersten Fall das Bekannte mit seinen unbekannten Horizonten korreliert, während im zweiten Fall nichts zu unterscheiden und damit nichts wahrzunehmen wäre. Merleau-Ponty generalisiert diese Vorgänge und lässt das Subjekt in einer Generalität, eben in einer „Anonymität des Man“ aufgehen:
„Korrelativ sind Generalität und Individualität des Subjekts, qualifizierte Subjektivität und reine Subjektivität, Anonymität des Man und Anonymität des Bewußtseins nicht zweierlei mögliche Konzeptionen des Subjekts, zwischen denen die Philosophie zu wählen hätte, sondern zwei Momente einer einzigen Struktur, die das konkrete Subjekt selber ist.“ (Merleau-Ponty 1966: 511)
14 Die anonyme Dimension lebensweltlicher Erfahrung bezeugt auch anderes Leben, das sich ebenso wie wir selbst in Kulturgegenständen nach außen projiziert und objektiviert. In einem Gefüge anonymer Leiblichkeit findet das Subjekt eine Fortsetzung seiner selbst und eine ihm nahegelegte Weise des Umgangs mit der Welt in einem zusammenhängenden System von Spuren anonymer Existenz. „Im Kulturgegenstand erfahre ich die nächste Gegenwart von Anderen unter dem Schleier der Anonymität.“ (Merleau-Ponty 1966: 399) Für den späten Husserl ist es diese rätselhafte anonyme Subjektivität, um die sich die Philosophie zu bemühen hat. Erreicht werden kann sie nur durch die Frage nach dem Selbstverständlichen, das als einheitlicher Sinn- und Geltungszusammenhang allen individuellen Leistungen und allen übergreifenden Kulturleistungen zugrunde liegt. Für Husserl ist die gesamte Lebenswelt des Subjekts aber eben eine Sphäre „anonym gebliebener subjektiver Phänomene“, und so spricht er mitunter von einer Radikalisierung der Weltbetrachtung im Sinne eines Fortschreitens der phänomenologischen Analyse hin auf eine „anonyme Subjektivität“, die „in allem Erfahren, allem Denken, in allem Leben fungierend, also überall unablösbar dabei, und doch nie ins Auge gefasst, nie ergriffen und begriffen ist. (Husserl 2012: 14f.) Dieser Dimension des Erfahrungslebens habe sich die Philosophie zu widmen.
15 Auf der Grundlage dieser Anonymität des fungierenden Lebens spielt der Leib die Rolle eines Nullpunkts, und so ist die Existenz für Merleau-Ponty ein permanenter Vollzug der Übernahme von Situationen. Eine Situation besonderer Art ist die Geschlechtlichkeit. Auch hier haben wir es mit einer Übersteigung der anonymen Existenz bzw. mit einer Übernahme und Aneignung in Situationen zu tun. Für Merleau-Ponty herrscht in geschlechtlicher Hinsicht eine Generalität. Geschlechtlichkeit ist für ihn keine natürliche Angelegenheit, sondern eine Situation, in die sich das Subjekt hinein entwickelt, aus der es sich eben aber auch wieder zurücknehmen kann.[5] „So ist selbst die Geschlechtlichkeit, die man doch lange genug als typisches Beispiel einer bloßen Körperfunktion betrachtet hat, keineswegs ein peripherer Automatismus, sondern Intentionalität, die der Bewegung der Existenz selbst folgt und mit ihr sich erhebt und zurückfällt.“ (Merleau-Ponty 1966: 188) Erst im Vollzug gewinnt die anonyme Existenz personalen und damit auch geschlechtlichen Charakter, erst hier gewinnt, was keinen Sinn hatte, Sinn und Bedeutung in Situationen. Wir haben es also mit einer konstitutiven Tendenz zur Übersteigung der Existenz durch sich selbst zu tun, wobei diese Übersteigung keine absolute ist, sondern stets in einer relativen Spannung auf das faktisch Gegebene verbleibt. Merleau-Ponty sieht diese ständige Übersteigung der Existenz durch sich selbst als ein Spannungsverhältnis, in dem eine gegebene Existenz in Situationen durchdrungen und angeeignet wird. Eine solche sich selbst überschreitende Struktur zeige sich auch in der Liebe, denn: „Was man zu besitzen sucht, ist also nicht ein Körper, sondern ein von Bewußtsein beseelter Leib; man liebt, […], keine Verrückte, es sei denn, man hätte sie schon vor ihrer Verrücktheit geliebt.“ (Merleau-Ponty 1966: 200) Im Drama der Liebe zeige sich die Struktur des Körpers als Objekt und als Subjekt, d.h., in einer Überschreitung durch sich selbst und über sich hinausgehend bleibt er unbestimmbar und unverfügbar sich entziehend. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Merleau-Ponty von der Metaphysik des Körpers als einem Hervorkommen eines Jenseits der Natur spricht. Zwar lässt sich der Körper auch als einfaches Ding erkennen und analysieren, doch in der Erfahrung ist diese Einfachheit nicht zu halten. In der Erfahrung erscheint er als ein mehrdeutiges Phänomen und besonders in Hinblick auf seine Geschlechtlichkeit in einer vieldeutigen Spannung zwischen der anonymen Existenzweise und einem Sein in geschlechtlich geprägten Situationen.[6] Anonymität wird hier also nicht einer personal geprägten Subjektivität gegenübergestellt, sondern es zeigen sich verschiedene Dimensionen der Existenz eines Subjekts in permanenter Ambiguität.[7]
16 Seine Betonung von Situationen, in die das Subjekt eintritt, denen es sich aber auch entziehen und aus denen es herausfallen kann, macht deutlich, dass Merleau-Pontys anthropologische Argumentation nicht von einer Substanz des Subjekts ihren Ausgang nimmt, sondern dass dieses eben differenziell von seinen Einlassungen, seiner Erfahrung, mithin von der Gestalt her in den Blick genommen wird, die seine Existenz in Situationen annimmt. In diesem Sinne ist ein jeder Versuch der Bestimmung, insbesondere der eines geschlechtlichen Wesens, nicht als eine nachträgliche Konstruktion von Wesensnotwendigkeiten anzugehen, sondern als eine Verknüpfung kontingenter Existenzbedingungen in Situationen. Merleau-Ponty findet in der menschlichen Existenz keine wesensnotwendigen Attribute, sondern versteht den Vollzug der Existenz als einen reversiblen Übergang zwischen Kontingenz und Notwendigkeit.
„Alles im Menschen ist Notwendigkeit, es ist kein bloßer Zufall, dass dieses vernünftige Wesen z.B. zugleich ein solches ist, das aufrecht geht und dessen Daumen den übrigen Fingern gegenüberliegen […]. Und alles im Menschen ist Kontingenz, insofern nämlich diese menschliche Existenzweise nicht einem jeden Menschenkind zum voraus auf Grund seines Wesens gewährleistet ist, das es bei seiner Geburt schon empfangen hätte, sie vielmehr beständig durch alle Zufälle des objektiven Leibes hindurch sich wiederherstellen muß. Der Mensch ist eine geschichtliche Idee, keine natürliche Spezies.“ (Merleau-Ponty 1966: 203)
17 Merleau-Ponty sieht im Leib des Menschen zwar sehr wohl ein „natürliches Ich“, doch ist diese Natürlichkeit keine vorhergehende, an sich seiende Substanz und kein festes Wesen. Der Leib ist vielmehr selbst bereits die „Strömung der Existenz“ („un courant d’existence“), und daher wissen wir nie, „ob die uns tragenden Kräfte die seinen oder die unseren sind – oder vielmehr, dass sie nie je gänzlich die seinen oder die unseren sind. Es gibt so wenig eine Übersteigung der Geschlechtlichkeit, wie es eine in sich verschlossene Geschlechtlichkeit gibt.“ (Merleau-Ponty 1966: 204)
18 Wie die anderen Aspekte seiner phänomenologischen Wahrnehmungslehre auch betrachtet Merleau-Ponty die Geschlechtlichkeit ausgehend vom Ausschluss der Alternativen Empirismus und Intellektualismus. Das heißt, sie steht weder im Zeichen einer essenziellen, naturalistischen Wesensnotwendigkeit noch ist sie als eine reine Frage der transzendentalen Gestaltungen des Bewusstseins und der Verstandestätigkeit zu verstehen. So wird nicht nur die Frage der geschlechtlichen Determination von Verhaltensaspekten durch biologische Funktionen relativiert, sondern auch das Begehren und die Ausrichtung auf den anderen Körper selbst stehen für Merleau-Ponty unter dem Gesetz geschlechtlicher Generalität als einer anonym fungierenden, vorreflexiven Erfahrung. Die Anonymität des fungierenden Sinneslebens geht also geschlechtlich geprägten Situationen voraus, und doch bleibt die Geschlechtlichkeit eine unumgehbare Dimension unserer Erfahrung. „Beständig ist die Geschlechtlichkeit im Leben gegenwärtig als Atmosphäre.“ (Merleau-Ponty 1966: 201) Sie ist Ausdruck der Existenz und zeigt sich im Ausdruck der Existenz als Situation, Geschlechtlichkeit ist hier ein allgemeines Zur-Welt-Sein, und daher nimmt die Differenz der Geschlechter eine sekundäre Funktion ein. Merleau-Ponty behandelt die Geschlechtlichkeit eben als diese Generalität der primordialen Ausrichtung auf die Welt, und er interessiert sich dabei erkennbar nicht für die Differenz der Geschlechter, sondern vielmehr für ihre Neutralität, die eben von den Überlegungen zur grundsätzlichen Anonymität des Lebens her gedacht wird. Dabei geht es nicht um die Differenzen und die etwaige Evidenz geschlechtlicher Unterschiede.[8] Ganz im Sinne der phänomenologischen Methode setzt Merleau-Ponty auch bei der Frage der Geschlechtlichkeit mitten in der Erfahrung ein und behandelt sie, ausgehend von ihrer konkreten Erfahrung, als eine Dimension unserer Wirklichkeit und damit als eine Frage der Existenz. Er sucht keinen Standpunkt außerhalb, von dem aus das Phänomen der Geschlechtlichkeit in den Blick genommen und die Frage der Geschlechterdifferenz beantwortet werden könnte. Feministische Interessen einer Betonung geschlechtlicher Differenz werden durch sein erfahrungsuniversalistisches Frühwerk also eher enttäuscht.
19 So wie die Anonymität einerseits als anonymer, singulärer Körper und andererseits als eine Einlassung des Subjekts in eine entpersönlichte, überschreitende Sphäre der Allgemeinheit verstanden wird, sieht Merleau-Ponty auch die geschlechtliche Anonymität als eine Überschreitung differenzieller Zuordnungen und damit als eine Unterminierung der Wirkungsmacht geschlechtsspezifischer Zuschreibungen. Für Merleau-Ponty geht es um das Verhältnis von Existenz und Geschlechtlichkeit, und dabei wird diese nicht nach differenten Erfahrungsbereichen und im herrschenden Schema der Zweigeschlechtlichkeit, sondern im Sinne einer allgemeinen Voraussetzung jeder Erfahrung verstanden. Das Leben ist nicht als eine Überschreitung der Geschlechtlichkeit zu sehen, diese ist vielmehr beständig anwesend und strahlt in die gesamte Existenz aus, ohne dabei immer Gegenstand des Bewusstseins zu sein.
„Geschlechtlichkeit und Existenz durchdringen einander, die Existenz strahlt in die Geschlechtlichkeit, die Sexualität in die Existenz aus, so daß die Feststellung des Anteils sexueller Motivation und desjenigen andersartiger Motivationen für einen bestimmten Entschluß oder eine gegebene Handlung unmöglich ist, unmöglich, einen solchen Entschluß oder eine solche Handlung als ,sexuell bedingt‘ oder als ,nicht sexuell bedingt‘ zu charakterisieren.“ (Merleau-Ponty 1966: 202)
20 Geschlechtlichkeit ist für Merleau-Ponty von einer Anonymität, die erst im gelebten Vollzug zu einem verkörperten Sinn und zur individuellen Existenzweise wird, und so ist der Wechsel von geschlechtlich geprägten Situationen in die Anonymität der singulären Leiblichkeit auch ein Freiheitsspielraum. Geschlechtlichkeit ist nicht der Ausdruck einer zwingenden Bedingung und damit nicht auf den geschlechtlichen Körper zurückzuführen. Latente Anonymität und latente Singularität des Subjekts zeigen sich nicht nur in den einmaligen Ereignissen der Geburt und des Sterbens, und daher bietet sich die Annahme an, die Neutralität geschlechtlicher Ausdrucksweise im Sinne einer programmatischen Gegenverwirklichung verstehbar zu machen. Geschlechtliche Existenzweise und geschlechtliche (Selbst-)Attribuierung werden so zu kontingenten Entscheidungen und nicht zu determinierenden Bedingungen. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Merleau-Ponty davon spricht, dass Geschlechtlichkeit metaphysischer Art sei. Das heißt, sie ist keine Transzendenz, sondern eine transzendentale und damit variable Möglichkeitsbedingung, nicht ein empirisches Phänomen, sondern eine transzendentale Überschreitung der Natur. Der Vorgang geschlechtlicher Differenzierung ist also ein prozessuales Differenzierungs-geschehen, das sich bildet und variabel ausgefüllt wird und nicht unmittelbar durch feststehende Wahrheiten vorstrukturiert ist. Die Notwendigkeit einer geschlechtlich differenzierten Identifizierung entsteht erst in der Übernahme und im Vollzug der Existenz, an sich herrscht in dieser Hinsicht Kontingenz. Was wir sind, sind wir in faktischen Situationen, und eine Erklärung von Geschlechtlichkeit, die auf etwas von ihr Unterschiedenes zurückgeht, kann es nicht geben. Mehr noch: Die Erklärung selbst ist sogar immer schon vom Sein in Situationen her zu verstehen.
21 Die Bedeutung der Psychoanalyse liegt für Merleau-Ponty gerade darin, dass sie eine Doppelbewegung zwischen Fundierung in der körperlichen Sexualität einerseits und einer Öffnung der Sexualität auf ihre Relevanz für die gesamte menschliche Existenz andererseits vollzieht. Geschlechtlichkeit werde hier auf den ganzen Menschen projiziert und nicht auf die Genitalität verengt. Sie erscheint damit als das allgemeine „Vermögen des psychophysischen Subjekts, sich verschiedenen Umwelten einzufügen, sich durch mannigfaltige Erfahrungen zu bestimmen und eine Struktur seines Verhaltens sich anzueignen“, d.h., sie eröffnet einen Spielraum des Verhaltens, sofern sie nicht auf den Status eines biologischen Faktums reduziert wird. (Merleau-Ponty 1966: 190) In diesem verallgemeinerten Sinne wird der Begriff der Sexualität hier zum Begriff einer Seinsweise bzw. einer Verhaltensweise zur physischen und zur zwischenmenschlichen Welt überhaupt. In dem Maße, in dem der Sinn der Existenz für die Psychoanalyse ein sexueller ist, wird der Sinn des Sexuellen ein existenzieller. In der Sexualität und der Sexualgeschichte eines Menschen spiegelt sich seine Geschichte überhaupt, und in seiner Geschlechtlichkeit zeigt sich die Weise des Menschen zur Welt zu sein. Dabei ist es mitnichten so, dass die Geschlechtlichkeit einfach in der Existenz als Gesamtphänomen aufginge. Ihr kommt vielmehr eine Sonderstellung zu, und zwar in dem gestalttheoretischen Sinne der differenziellen Abhebung aus einer Ganzheit, die sie erst konfiguriert. In diesem Sinne ist das Biologische für Merleau-Ponty in die menschliche Existenz und ihren Rhythmus eingeschlossen, d.h. auch,
„daß nichtsdestoweniger ,Leben‘ die primordinale Seinsart ist, die alles ,Erleben‘ einer Welt erst möglich macht; daß wir atmen und uns ernähren müssen, ehe wir wahrzunehmen, in ein beziehungsvolles Leben einzutreten vermögen; daß wir durch den Gesichtssinn Farbe und Licht, durch das Gehör Töne, durch die Geschlechtlichkeit den Leib eines anderen Menschen uns erschlossen haben müssen, um in ein Leben menschlicher Verhältnisse eintreten zu können. So sind Gesicht, Gehör, Geschlecht und Leib nicht bloße Durchgangspunkte, Werkzeuge oder Äußerungen der persönlichen Existenz: vielmehr wird deren vorgegebenes anonymes Sein von dieser übernommen und angeeignet.“ (Merleau-Ponty 1966: 191)
22 Insofern ist der Leib ein anonymer Ausdruck und eine Verallgemeinerung der Existenz, so wie die Geschlechtlichkeit ein allgemeiner Erfahrungshintergrund ist. Leiblichkeit ist nicht an sich zweideutig, sondern die Zweideutigkeit ergibt sich erst in unserer Erfahrung, und d.h. in unserer sexuellen Erfahrung durch die Geschlechtlichkeit selbst. Anonymität und Singularität im Unterschied zur Einlassung in Situationen zu denken heißt also nicht nur, Geschlechtlichkeit als auszugestaltenden Möglichkeitsspielraum zu verstehen, sondern den Körper insgesamt den Organisationen, Beziehungen und Zurichtungen abtrünnig zu machen, die seine Erfahrung strukturieren. So könnte sich die Anonymität singulärer Erfahrung als eine Instanz erweisen, die standardisierenden Zugriffen widersteht und einer je eigenen Weise der Existenz Geltung verschafft.
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