Kein Körper. Niemand. Zur List des Pseudonyms

Von Fabienne Imlinger
Themen: Pseudonym; Anonymität; Autorschaft; geschlechtliche Uneindeutigkeit
Eingereicht 14.08.2012
Angenommen 30.07.2014
Veröffentlicht 15.05.2015

Abstract: Der Beitrag untersucht die Funktion von Pseudonymität im Kontext literarischer Autorschaft. An Forschungen der feministischen Literaturwissenschaft zu Anonymität und Pseudonymität anknüpfend, rückt der Artikel insbesondere den handlungsmächtigen Aspekt von Namensfingierung in den Vordergrund: Das Pseudonym wird als List begriffen, d.h. als eine Taktik, die sich der patriarchalen Logik des Eigennamens bedient, um diese zugleich zu unterlaufen. Der erste Teil widmet sich dem Spannungsfeld von Name, Sprache und Geschlechtlichtkeit, das für literarische Autorschaft und Kanonbildung zentral ist. Am Beispiel des autobiographischen Textes „Aus eines Mannes Mädchenjahren“, der 1907 unter dem Pseudonym N.O. Body erscheint, verdeutlicht der zweite Teil, auf welche Weise Pseudonymität als sprachliche List Geschlechtlichkeit sowohl herstellt als auch entstellt.

1. Zur Einleitung

1 Wenn in den folgenden Ausführungen erneut die Frage „Was ist ein Autor?“ gestellt wird, dann deshalb, weil dieser trotz seines vor 40 Jahren verkündeten Ablebens bis heute ein munteres Dasein im Feuilleton wie im Kanon fristet. Problematisch daran bleibt, dass mit einem modernen Begriff vom Autor – die männliche Form ist hier bewusst gesetzt – eine spezifische Geschlechterpolitik einhergeht, die sich unter anderem anhand einer patriarchalen Politik des Eigennamens absichert und (re-)produziert.

2 Feministische Literaturwissenschaftlerinnen wie etwa Barbara Hahn oder Susanne Kord haben die onomastischen Implikationen moderner Autorschaft analysiert und die (Un-)Möglichkeit weiblicher Autorschaft unter dieser Perspektive kritisch beleuchtet. Wenn Autor sein in der Moderne heißt, sich einen Namen zu machen, dann stellt sich weibliche Autorschaft als schwierig insofern dar, als diese historisch vornehmlich unter falschem Namen operiert hat – sei es im Namen der Väter oder Ehemänner, sei es pseudonym oder anonym. Der versichernde Grund des Eigenen und Reinen, des propre im nom propre, stand Autorinnen gerade nicht zur Verfügung, was nicht zuletzt eine fehlende weibliche Literaturgeschichte zur Konsequenz hatte. Pseudonymität und Anonymität bewerten Hahn und Kord entsprechend als hochgradig ambivalent: als Möglichkeitsbedingung von weiblicher Autorschaft und zugleich als Moment der Auslöschung und Unsichtbarkeit weiblicher Autorinnen.

3 Den Stellenwert sowie die Funktion von Namenlosigkeit bzw. Namensfingierung möchte ich im Folgenden neuerlich befragen und insbesondere das handlungsmächtige Potential des Pseudonyms in den Vordergrund rücken. In eben diesem Sinne soll vom Pseudonym als List die Rede sein – einer List freilich, die niemals jenseits von Macht zu denken ist, sondern die zwangsläufig im literarischen Feld mit seiner patriarchalen Politik des Eigennamens operiert. Bevor ich das Konzept des Pseudonyms als List entfalte, werde ich zunächst das Verhältnis von Name und Autorschaft näher bestimmen und hierbei auf die literaturwissenschaftliche Debatte um die Frage der Autorschaft, wie sie insbesondere von feministischer Seite geführt wurde, eingehen. Im Anschluss daran folgen Überlegungen zum Verhältnis von Geschlecht und Name, das ich als grundlegend performativ begreife. Für die Frage nach der Lesbarkeit des Autor(namen)s wird dabei die rhetorische Figur der Prosopopoiia von zentraler Bedeutung sein.

4 Wenn meiner Argumentation zufolge Geschlechtsidentität nicht im Namen bereit liegt, sondern das Subjekt durch den Namen als geschlechtliches hervorgebracht wird, dann gilt dies in besonderer Weise auch für Pseudonymität. Den Zusammenhang von Pseudonymität, Autorschaft und Geschlecht diskutiere ich schließlich am Beispiel des autobiographischen Textes „Aus eines Mannes Mädchenjahren“, der 1907 in Berlin unter dem (sprechenden) Pseudonym N.O. Body erschien. Wie ich zeigen werde, erteilt dieses Pseudonym der onomastischen Politik des Einen und Eigenen eine listige Absage, indem es Identität, Namhaftigkeit und Geschlechtlichkeit prominent in Szene setzt und zugleich negiert.

2. Im Namen des Autors

5 Barbara Hahn beginnt ihre Studie „Unter falschem Namen“ (Hahn 1991) mit der Geschichte einer Entrüstung. In seiner Autobiographie „Aus meinem Leben – Dichtung und Wahrheit“ spricht Johann Wolfgang von Goethe das Verbot aus, Schindluder mit seinem Namen zu treiben:

„Es war freilich nicht fein, daß er [gemeint ist Johann Gottfried Herder, F.I.] sich mit meinem Namen diesen Spaß erlaubte: denn der Eigenname eines Menschen ist nicht etwa ein Mantel, der bloß um ihn her hängt und an dem man allenfalls noch zupfen und zerren kann, sondern ein vollkommen passendes Kleid, ja wie die Haut selbst ihm über und über angewachsen, an der man nicht schaben und schinden darf, ohne ihn selbst zu verletzen“ (Goethe 2006: 367).

6 Dass der deutsche Autor, dessen Name Epoche machte, diesen gegen Scherze immunisieren will, erinnert nicht von ungefähr an das Gebot, das da heißt: Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen. Um in der Moderne Autor-Gott zu sein, bedarf es einer spezifischen Politik des Eigennamens, die den Gebrauch desselben zu regeln sucht. Sich einen Autornamen machen heißt fortan, wie Barbara Hahn herausstellt, sich einen Namen machen, indem man das propre des nom propre, die Reinheit des Eigenen und Einen, für sakrosankt erklärt.

7 Mit der Profanierung des Namens unterbunden sei zugleich auch seine Proliferation und Aufspaltung in irritierende Vielfalt. Wer sich einen Namen gemacht hat, trägt nur mehr einen Namen, den des Vaters, den Nachnamen mithin, der das „Geschlecht nicht verrät“ (Hahn 1991: 8). Wer mit ‚Goethe‘ signiert und dieses ‚Goethe‘ mittels einer metonymischen Kette, die vom lose sitzenden Mantel über das vollkommen passende Kleid schließlich zur Haut selbst reicht,[1] sprachlicher Bedeutungsproliferation zu entheben sucht, versichert sich der (R-)Einheit und Ernsthaftigkeit des mit diesem Transzendental-Signifikanten unterzeichneten Werks: „indem ein Autor wie ein Gott gelesen wird, können seine Produkte kein Abfall sein“ (Hahn 1991: 8).

8 Die frevelhafte Apostrophe, die zum Stein des Anstoßes wurde, zeigt freilich, dass es eines Verbots, das jeglichen Missbrauch des Namens unterbinden soll, gerade deswegen bedarf, weil der Name immer schon Ort verunreinigender Enteignung gewesen sein wird. „Der von Göttern du stammst, von Goten oder vom Kote, Goethe“ (Goethe 2006: 367), so die bedingt schmeichelhafte, „verblüffend[e] Genealogie“ (Hahn 1991: 8), die Johann Gottfried Herder in einem an den Autor-Gott höchstpersönlich adressierten Billett entwirft. Der Witz dieser Anrede besteht darin, dass sich Genealogie und Etymologie im doppelsinnigen Begriff der Abstammung auf unstattliche Weise miteinander verquicken, ja ununterscheidbar werden: Vordergründig ein fiktives genealogisches Tableau, das Herder dem patrilinearen System der Filiation entsprechend anhand des Nachnamens zeichnet, entpuppt sich seine Apostrophe als ebenso fiktive Etymologie des Namens (oder Wortes?) Goethe. Eingegliedert in eine Reihe, die vom Göttlichen zum Unreinen reicht, treibt Herder auf diese Weise mit Goethe nicht nur ein unflätiges Namensspiel, sondern auch ein Wortspiel.

9 Es handelt sich, genauer gesagt, um die rhetorische Figur der Annominatio oder Paranomasie, Lausbergs „Handbuch der literarischen Rhetorik“ zufolge ein „(pseudo-)etymologisches Spiel mit der Geringfügigkeit der lautlichen Änderung einerseits und der interessanten Bedeutungsspanne, die durch die lautliche Änderung herausgestellt wird, andererseits“ (Lausberg 1990: 322). Insofern in der Paranomasie ähnliche Worte unähnliche Dinge bezeichnen, birgt diese rhetorische Figur, wie Bettine Menke argumentiert, ein dekonstruktives Potential. In der „minimalen Modifikation des Klangs und der Letteralität“ nämlich zeige sich „die schüttere ‚Fundierung‘ der Signifikate – als Signifikanten-Effekte“ (Menke 1996: 434). Wenn Herder die dekonstruktive Kraft der Paranomasie am Eigennamen ansetzt, dann wirft er damit die unentscheidbare Frage auf, ob der „Name ein Wort sei, und ob nicht das Wort ‚Wort‘, gerade auch in der Wendung ‚das Wort Wort‘, die Bedeutendes und Bedeutetes irritierend ineinanderwendet, zum Namen anbreche“ (Schestag 1991: 119). Entgegen aller Verbote seitens des Autor-Gottes und seiner Gläubigen ist der Name mithin kein transzendentaler (Herren-)Signifikant, sondern, weil und insofern er der Sprache zugehört, von Differenz durchzogen.

10 Mit Herders Apostrophe einerseits, Goethes metonymischer Kette andererseits lässt sich ein Spannungsfeld von Enteignung und Aneignung abstecken, in welchem Namen operieren. Die Aufgabe des Namens ist, dem doppelsinnigen Titel von Bernd Stieglers Studie entsprechend, mit seiner Aufgabe verschränkt, insofern dies die Bedingung der Möglichkeit seiner Lesbarkeit konstituiert (vgl. Stiegler 1994: 20). Folglich fungiert der Eigenname nicht als versichernder Grund der Identität seines Trägers/seiner Trägerin, sondern nachgerade als deren Abgrund. Denn die „durch den Eigennamen vermeintlich verbürgte Individualität erscheint im Text und in der Sprache überhaupt nur im Modus der Abwesenheit“ (Stiegler 1994: 20). Namhaftigkeit impliziert so ein paradoxes Weiterleben durch die Aufgabe des Namens, oder, noch einmal mit Bernd Stiegler: „Die conditio sine qua non des Überlebens des Namens ist die Aufgabe der Identität des Namensträgers als andere Form seines Todes.“ (Stiegler 1994: 90)

11 Möglicherweise überlebt ausgerechnet der Name deshalb auch den Tod des Autors, den Roland Barthes in seinem gleichnamigen, programmatischen Text von 1968 zugleich mit der Geburt des Lesers verkündet.[2] Das Gesetz, das den Gebrauch des Namens zur todernsten Angelegenheit erklärt, wirkt, Barthesʼ häretischem Unterfangen zum Trotz, fort. Wie sonst ließe sich der Umstand erklären, dass sogar der Abgesang auf den Autor-Gott gepflastert ist mit Grabsteinen, die eines nach wie vor zu lesen geben: Namen, und obendrein die immer gleichen – Mallarmé, Valéry, Proust bei Barthes; Beckett, Kafka, Proust, Mallarmé ein Jahr später bei Michel Foucault (vgl. Barthes 2006 und Foucault 2003).[3] Das zumindest aber hatte letzterer in seinem Aufsatz „Was ist ein Autor?“ gesehen: Noch in der bereits 1969 zur Floskel erstarrten Rede vom Tod des Autors ist das Spiel der Autor-Funktion am Werk. Totgesagte leben deswegen wohl auch in diesem Fall länger (vgl. Foucault 2003: 242 und 266).[4] Foucault mochte – bezeichnender Weise zu einem Zeitpunkt, als er selbst sich schon einen Namen gemacht hatte – wiederholt von einer anonymen Zirkulation der Diskurse träumen; der Name des Autors fungiert selbst nach seinem Tod als wichtigster Begriff „zur textsortenspezifischen Selektion, Wertung und Beschreibung von Texten“ (Jannidis et al. 1999: 31). Kein Kanon ohne Autornamen.

12 Von daher versteht sich, dass die feministische Literaturwissenschaft an diesem Punkt ein- und nachhakt. Sowohl Barbara Hahn als auch Susanne Kord konstatieren in ihren jeweiligen Untersuchungen eine Dichotomie zwischen dem Einen des männlichen Autornamens und einer babylonischen Vielfalt weiblicher Namen. „Der Gegenpol“, so Barbara Hahn, „zum modernen Autor mit dem einen Namen, der ein Werk zusammenhält und regiert, ist eine unbezeichenbare Vielheit von Texten, die unautorisiert und zwischen den Genres wandernd immer wieder aus dem Kanon des Überlieferbaren ausscheren: Was nicht benannt werden kann, lässt sich schwer tradieren“ (Hahn 1991: 7). Die doppelsinnige Aufgabe des Namens erhält so eine geschlechterspezifische und -politische Wendung. Seit die Funktion Autorschaft unter dem Signum des Einen-Namens operiert, schreiben und veröffentlichen Frauen, und das unweigerlich, unter falschen Namen: Anonymen, Pseudonymen, Vornamen, Väter- oder Ehemänner-Namen. Dem Tod des Autors kann folglich nur skeptisch gegenüberstehen, wer mit Blick auf die Literaturgeschichte konstatieren muss, dass die Autorin – qua Namenlosigkeit – niemals das Licht der Welt erblickte.

13 Weibliches Schreiben implizierte also lange Zeit eine Form der Aufgabe des Namens, die ein Überleben im Namen durch seine Aufgabe gerade nicht oder nur schwerlich ermöglichte. In eine ähnliche Richtung zielt etwa Nancy Millers Argumentation, wenn sie angesichts des in der Literaturwissenschaft oft jubilatorisch zelebrierten Ablebens des Autors polemisch einwendet: „Only the subject who is both self-possessed and possesses access to the library of the already read has the luxury of flirting with the escape from identity“ (Miller 1986: 274). Problematisch sei, so Miller weiter, weniger der (vermeintliche) Tod des Autors als die hieraus resultierenden Effekte: Zum einen nämlich disqualifiziere die postulierte – und allerdings wiederum mit einem Autornamen versehene – Gleichgültigkeit gegenüber dem, der spricht,[5] andere Konzeptionen des schreibenden (und lesenden) Subjekts. Zum anderen und damit korrelierend perpetuiere die Nichtbeachtung des Namens und damit letztlich auch der Kategorie Geschlecht eine universalistische und phallogozentrische Logik (vgl. Miller 1986: 271).

14 Arbeiten wie die von Peggy Kamuf loten demgegenüber das Potential aus, welches das Theorem vom Tod des Autor-Gottes gerade für die feministische Literaturwissenschaft birgt. Dass dessen Kopf wohl endgültig erst mit seinem Namen rollt, macht Kamuf anhand der Lektüre eines Textes deutlich, dem bis heute kein Autorname attribuiert werden kann: den 1669 anonym veröffentlichen „Lettres portugaises“. Weniger daran interessiert, die Herkunft dieses Textes letztgültig zu klären, verdeutlicht Kamuf, wie in der Frage nach dem Autor eine wirkungsmächtige und doppelsinnige loi du genre zum Tragen kommt. Denn mit der strittigen Autorschaft steht nichts weniger auf dem Spiel als der literarische Status der „Lettres portugaises“, und dieser Status als Literatur wird dem Text – wenig überraschend – nur dann zugesprochen, wenn dieser auf einen Vater, mithin einen Autor, zurückgeführt werden kann.[6]

15 Für Kamuf allerdings lautet der hieraus resultierende Schluss nicht, anstelle des Vaters die Mutter, anstelle des Autors die Autorin als Urheberin, Quelle oder Autorität von Texten zu setzen. Denn auf diese Weise perpetuiere sich wiederum ein patriarchal-autoritatives Denken des Ursprungs. Es ist der versichernde Grund des propre im nom propre, der erlaubt, einen reinen Ursprung zu setzen, „[that is:] an origin uncontaminated by the differential structure it inaugurates“ (Kamuf 1980: 297). Kamuf geht es deshalb darum, „the masks of truth with which phallocentrism hides its fictions“ sichtbar zu machen, und ein Einsatzpunkt hierfür „is […] looking behind the mask of the proper name, the sign that secures our patriarchal heritage: the father’s name and the index of sexual identity“ (Kamuf 1980: 286).

16 Unvermutet taucht an dieser Stelle Goethes metonymische Verkleidung des Namens wieder auf, und es offenbaren sich zugleich die dieser Politik des Eigennamens inhärenten Paradoxien. Goethe nämlich insistiert mittels einer Reihung rhetorischer Figuren auf der Nicht-Rhetorizität des Namens: Der Name ist wie die Haut selbst und also gerade keine Maske. Überdies stellt sich das Verhältnis von Name und Namensträger/in bei Goethe weniger sprachlich denn körperlich dar. Eben diese rhetorische Maskierung der Figuralität des Namens als nicht figural erlaubt es, Wahrheit zu postulieren, wo Dichtung war. Umgekehrt lässt sich Herders frevelhafte Apostrophe vor diesem Hintergrund als sprachliche Verunreinigung des Namens verstehen; eine Verunreinigung, die umso gewitzter ist, als sie die Frage nach dem Ursprung zwar aufruft, jedoch anhand der Doppelung zweier Denksysteme des Ursprungs – Genealogie und Etymologie – die differentielle sprachliche Struktur des Namens hervortreibt.

17 Den mit Peggy Kamuf aufgeworfenen Zusammenhang zwischen Name, Figuralität und Maske möchte ich anhand der rhetorischen Figur der Prosopopoiia konzeptualisieren und das Verhältnis von Geschlecht und Name von hier ausgehend präzisieren. In „Autobiography as De-Facement“ bestimmt Paul de Man die Prosopopoiia als Figur, die Nicht-Sprechenden, Toten oder Abwesenden eine Stimme und ein Gesicht verleiht:

„[I]t is the figure of prosopopeia, the fiction of an apostrophe to an absent, deceased or voiceless entity, which posits the possibility of the latter’s reply and confers upon it the power of speech. Voice assumes mouth, eye and finally face, a chain that is manifest in the etymology of the trope’s name, prosopon poein, to confer a mask or a face (prosopon). Prosopopeia is the trope of autobiography, by which one’s name […] is made as intelligible and memorable as a face“. (De Man 1979: 926; Hervorhebung F.I.)

18 Ohne vorerst näher auf die Funktion des Namens einzugehen, gilt es die in dieser Passage manifeste Verschränkung von Apostrophe und Prosopopoiia zu explizieren. Indem die Prosopopoiia Stumme, Tote oder Abwesende als redende Personen auftreten lässt, fungiert sie „implizit selbst als die Apostrophierung dessen, was erst sie, die Figur, als Sprechendes inszeniert haben wird“ (Menke 1995: 165). Die Figur der Prosopopoiia verleiht mit der Apostrophierung des Abwesenden diesem in einer symmetrischen Wendung durch die Adressierung eine Stimme und ein Gesicht. Somit stellt sich die Prosopopoiia als Figur „für die (Fiktion einer) Adressierung“ (Menke 1995: 166) dar und hierdurch wird das Stimmlose als sprechend (voraus-)gesetzt.

19 Für den hier zur Diskussion stehenden Zusammenhang besonders virulent ist, dass Paul de Man seine Überlegungen zur Prosopopoiia anhand einer Lektüre von William Wordsworths „An Essay upon Epitaphs“ entwickelt. Das ist insofern von Bedeutung, als die Apostrophierung und die damit vollzogene Setzung des Abwesenden als gegenwärtig sich bei der von Wordsworth entworfenen Lektüre-Szene wesentlich über die Lektüre von Eigennamen vollzieht, die auf Grabsteinen geschrieben stehen. Bezeichnender Weise tauchen an entscheidender Stelle bei Wordsworth wie auch bei De Man wiederum Autornamen auf: „In case of poets such as Shakespeare, Milton or Wordsworth himself, the epitaph can consist only of what he [Wordsworth, F.I.] calls ‚the naked name‘“. (De Man 1979: 926)

20 Erneut erweist sich an dieser Stelle also der Name als dasjenige, was selbst den (in diesem Fall buchstäblichen) Tod des Autors überlebt und was – durch die Figur der Prosopopoiia – die Wiederkehr des Autors und damit sein (nachgerade unheimliches) Weiterleben sichert. Zudem ist in Wordsworths Rede vom naked name latent wiederum jene von Goethe als körperlich imaginierte Verwachsenheit von Namensträger und Namen präsent. Hier nun erscheint gar der Name selbst als entkleidet – um das englische naked name idiomatisch inkorrekt zu übersetzen – und also als körperlich. Diese Verschränkung von Name und Namensträger mittels einer vestimentären Semantik hebt zwar auf Körperlichkeit und damit nicht zuletzt auf Verletzbarkeit ab, verstellt bleibt allerdings ausgerechnet Geschlechtlichkeit: Milton, Shakespeare, Wordsworth, Goethe – vordergründig scheint keiner dieser Autornamen das Geschlecht seines Trägers lesbar zu machen, und das, obwohl die sprachlichen Verkleidungen des Namens auf so prominente Weise den Körper evozieren.

21 Wie Anna Babka argumentiert hat, verleiht die Prosopopoiia nicht nur Stimme und Gesicht, sondern immer auch Geschlecht(skörper). Wenn die Prosopopoiia das Stumme, Tote, Abwesende anhand der Metapher der Stimme als redende Personen auftreten lässt, dann impliziere dies, dass diesem auch ein Geschlecht zugeschrieben werde (vgl. Babka 2002: 68). Auf diese Weise kommen, wie Babka ausführt, „geschlechtlich markierten Personen ‚ins Sprechen‘, ‚sprechen‘ von der Zuweisung, von der Verortung im Männlichen/Weiblichen“ (Babka 2002: 69). Sie legt damit ein Konzept vor, in welchem sie die Konstitution von Geschlechtsidentität – unter anderem – mittels der rhetorischen Figur der Prosopopoiia begreift. Dass dem Namen qua Apostrophierung und Apostrophierbarkeit des Subjekts als geschlechtlichem hierbei eine zentrale Funktion zukommt, hebt auch Judith Butler hervor, wiewohl sie die Struktur der Anrufung nicht im Sinne De Mans sondern im Anschluss an Louis Althusser denkt.

22 In „Excitable Speech. A Politics of the Performative“ kommt Butler explizit auf die performative und subjektkonstituierende Macht des Namens zu sprechen, wobei sie insbesondere die Unilateralität des Aktes der Benennung in den Vordergrund rückt: „One is, as it were, brought into social location and time through being named. And one is dependent upon another for one’s name“ (Butler 1997: 29). Manifest ist hierin ein Aspekt, der, so Werner Hamacher, „offenbar jedem Namen in seiner Singularität eigen ist: Der Name gehört nicht zum System der Sprache, die etwas mitteilt, sondern zu jenen Markierungen in ihm, die nur die Mittelteilbarkeit selbst sichern.“ (Hamacher 1998: 300) Namen markieren den Ort des Subjekts in der Sprache, sie rufen Subjekte als geschlechtliche ins Sprechen und damit ins Sein und eröffnen dadurch allererst die Möglichkeit des Sprechens respektive des Benennens. Der von Butler betonte Umstand, dass der Name zunächst wesentlich der Name des Anderen ist, lässt sich wiederum in das Spannungsverhältnis von Enteignung und Aneignung eintragen: Die Enteignung – der Akt der Benennung durch den Anderen – geht der Aneignung – der Möglichkeit zur (Selbst-)Benennung – voraus. Daher rühre nicht zuletzt, so Butler weiter, der wunde Punkt des Namens, soll heißen: Die (nicht nur) von Goethe beklagte Verletzbarkeit und Angreifbarkeit des Subjekts im Namen: „After having received the proper name, one is subject to being named again. In this sense, the vulnerability to being named constitutes a constant condition of the being subject.“ (Butler 1997: 30)[7]

23 Eingetragen in das Verhältnis von Namhaftigkeit und Geschlechtlichkeit ist damit letztlich eine performative und iterative Prozessualität, die wiederum auf die Abgründigkeit des Namens verweist (vgl. Butler 1997: 36f.). Wenn der Name so intelligibel und memorabel wie ein Gesicht und ein Geschlechtskörper (anscheinend) schon sind, allererst werden muss – und zwar durch wiederholte Akte der Benennung, die das Subjekt nur bedingt kontrolliert –, dann sichert dieser Name nur auf prekäre Weise die (Geschlechts-)Identität seines Trägers/seiner Trägerin. Angesichts der performativen, auf Wiederholung angewiesenen Struktur der Benennung lässt sich vielmehr mit Anna Babka fragen: „are faces and names ever the same?“. (Babka 2002: 29)

24 Mehr noch: Sowohl Menke als auch Babka heben den phantasmagorischen und gespenstischen Effekt der Prosopopoiia hervor, insofern ihr die für De Mans Aufsatz titelgebende Bewegung des de-facement, mithin: der Entzug der Stimme, des Gesichts und damit des Geschlechts inhärent ist (vgl. Menke 1995: 149f., und Babka 2002: 68f.). Indem die Prosopopoiia ein Subjekt der Rede performativ einsetzt, das nachträglich immer schon gegeben zu sein scheint, verstellt sie zugleich ihre Funktion als rhetorische Figur und damit insbesondere auch ihre Voraussetzung: das Fehlen von Stimme, Gesicht und Geschlecht. Wenn prosopon poein die rhetorische Operation bezeichnet, mit der ein Gesicht verliehen oder eine Maske aufgesetzt wird, dann impliziert dies also, dass Stimme, Gesicht, Geschlecht(skörper) dieses Sprechens ursprünglich fehlten, dass es also nichts hinter der Maske gibt, das durch die Maske lediglich verstellt würde.

25 Auf diese Weise erklärt die Figur der Prosopopoiia dasjenige, dem eine Stimme verliehen wird, zum Stummen und Abwesenden, verstellt diesen konstitutiven Mangel aber ebenso wie und gerade insofern sie für ihn eintritt. Entsprechend bezeichne der Tod eine Kategorie der Sprache, nämlich „die in der Sprache sich ereignende Deprivation von ‚Gestalt‘“ (Menke 1996: 201; vgl. De Man 1979: 930). Diese enteignende, entstaltende Wirkung von Sprache lässt sich mit Werner Hamacher im Namen auf den Punkt bringen: „Indem er eine bestimmte Identität verleiht, nimmt der Name das, was ihr angehört, zugleich für sich selbst in Anspruch –: jeder Name ist eine Nahme.“ (Hamacher 1998: 301) Eingetragen in das Spannungsfeld von Aneignung und Enteignung bedeutet dies, dass der Name selbst enteignet, indem er sich das Eigene der Identität seines Trägers/seiner Trägerin aneignet.

26 Diese Ausführungen zur Prosopopoiia lassen sich für die Analyse der Funktion des Autornamens fruchtbar machen. Als Figur der Lesbarkeit schlechthin verleiht sie nämlich nicht nur Nicht-Sprechenden, Abwesenden oder Toten im Text, sondern auch den Texten ein Gesicht, eine Stimme und ein Geschlecht. Prosopon poein ist in diesem Sinne „der rhetorische Name für die das verstehende Lesen leitende Frage nach der Quelle der Äußerung, nach dem Autor, der sie verantworte“ (Menke 1995: 137). Menke knüpft hier wiederum an Paul de Man an, wenn dieser die Autobiographie bestimmt als „a figure of reading or of understanding that occurs, to some degree, in all texts“ (De Man 1979: 921). Verbinden lässt sich dies schließlich mit Foucaults Autor-Aufsatz, da die von Foucault mit Beckett gestellte – und zugleich in Abrede gestellte – Frage „Wer spricht?“ eine Lektüre des Eigennamens vollzieht, durch welche Stimme, Gesicht, Geschlecht, kurzum: die Instanz des Autors/der Autorin gesetzt wird.

27 Die Pointe besteht allerdings darin, dass der Name gerade keinen referentiellen Garanten der Lesbarkeit oder der (geschlechtlichen) Identifizierung des Ich vor dem Text darstellt. Der Name ist mit Foucault gesprochen vielmehr die konstitutive und eigentümliche Leerstelle – leere Einschrift, wie Menke formuliert –, die Lesbarkeit ebenso ermöglicht wie verunmöglicht, insofern er intelligibel und memorabel nicht schon ist, sondern erst gemacht werden muss (vgl. Menke 1995: 194, und Foucault 2003: 243 und 242f.). Der Name auf dem Titelblatt „ist die einzige ‚Figur‘ – ohne Bedeutung – für den Autor, als dessen Stimme der Text gelesen wird“ (Menke 1995: 201). Wie Barbara Hahn im Anschluss an Derridas Begriff der Signatur formuliert, geben Namen etwas zu lesen auf – etwas allerdings, „das nicht einfach gegeben ist und deshalb auch nicht einfach benannt werden kann.“ (Hahn 1991: 17)

3. Die List des Pseudonyms

28 Anliegen im Folgenden ist es, vor dem Hintergrund des eben aufgespannten theoretischen Rahmens das Pseudonym als List zu begreifen. Im Pseudonym verdichtet sich die spannungsvolle Bewegung von Enteignung und Aneignung insofern ihm eine eigentümliche Gleichzeitigkeit von Aufgabe des Namens und Selbstbenennung inhärent ist. In den Blick nehmen möchte ich dabei vor allen Dingen das dekonstruktive und handlungsmächtige Potential, welches das Pseudonym als – offenkundige – sprachliche Maske birgt, eine Maske, die die eindeutige Lesbarkeit des Geschlechts ebenso ermöglicht wie verunmöglicht. Die Analyse zielt so letztlich darauf ab, im Sinne Peggy Kamufs die patriarchale Logik reiner Ursprünglichkeit im/des nom propre zu hintertreiben.

29 Pseudonymität und Anonymität haben sowohl in Barbara Hahns als auch in Susanne Kords Studie einen zentralen Stellenwert inne, wenn es um den Zusammenhang von weiblichem Schreiben, Autorschaft und Kanonisierung geht. Wiewohl der Umstand, dass „sich hinter dem Text einer Autorin (beziehungsweise dem Namen einer Autorin) jeweils eine andere verbergen kann“, zunächst „ein geschlechterindifferentes Charakteristikum“ darstellt (Nieberle 1999: 266), setzen Hahn wie auch Kord das Geschlecht der Autorin als determinierenden Faktor für Anonymität bzw. Pseudonymität voraus.[8]

30 Beiden Formen kommt dabei eine ambivalente Funktion zu: Einerseits nämlich lassen sich Pseudonymität bzw. Anonymität als „ultimative Unterdrückung und Auslöschung weiblicher Autorschaft“ verstehen, „andererseits als der Faktor, der weibliche Autorschaft erst ermöglicht und der Autorin […] die größten Freiheiten bietet“ (Kord 1996: 180). Die Aufgabe des Namens, die „der Verhüllung der Identität (und häufig auch des Geschlechts) der Autorin“ dient (Kord 1996: 14), stellt sich als gleichermaßen erzwungen wie notwendig dar. Weibliche Autorschaft wird durch Anonymität bzw. Pseudonymität zwar ermöglicht, die patriarchale Politik des Eigennamens scheint dadurch jedoch nicht (oder kaum) in Frage gestellt.

31 Problematisch an einem solchen Ansatz ist unter anderem,[9] dass Zweigeschlechtlichkeit als relativ stabiler Garant dieser weiblichen Literaturgeschichte fungiert. Das Geschlecht der Autorin wird als determinierend für Anonymität oder Pseudonymität (voraus-)gesetzt. Aufgrund dessen erscheinen Pseudonymität und Anonymität insbesondere bei Susanne Kord als statische Namensmaskerade, hinter der nicht sich nur der ‚richtige‘ Name, sondern zugleich auch das ‚richtige‘ Geschlecht verbirgt – wohl kaum zufällig spricht Kord in der eben zitierten Formulierung vom Pseudonym als Verhüllung der Identität und des Geschlechts der Autorin. Während das Pseudonym auf diese Weise als Maske gedacht wird, stellt sich das Verhältnis von Name und Namensträgerin, gemäß dem goetheschen Verständnis einer körperlichen Verwachsenheit beider, gerade nicht als Maske dar.

32 Der Einsatzpunkt meiner Analyse ist, diese letztlich essentialisierende dichotome Gegenüberstellung von Maske-Pseudonym einerseits und dahinter verhülltem ‚richtigem‘ Namen-Geschlecht andererseits aufzubrechen. Den zuvor entwickelten Überlegungen zum Zusammenhang von Prosopopoiia und Geschlechtlichkeit entsprechend möchte ich argumentieren, dass es nichts hinter der Maske gibt, das durch diese lediglich verhüllt würde: Geschlechtsidentität liegt nicht im Namen bereit, sondern wird durch ihn gleichermaßen produziert wie potentiell enteignet. Indem das Pseudonym dieses performative Potential des Namens auszustellen erlaubt, bietet es die Möglichkeit zur subtilen Unterwanderung der Politik des Eigenen und Einen. In diesem Sinne spreche ich von der List des Pseudonyms, geschlechtliche Lesbarkeit sowohl zu ermöglichen als auch zu verunmöglichen – eine (Un-)Lesbarkeit, die ich als einen jedem Namen konstitutiv inhärenten Zug begreife.

33 Wenn, wie Judith Butler herausstellt, das Subjekt durch Apostrophierung des Anderen ins geschlechtliche Sein und damit ins Sein überhaupt gerufen wird, dann lässt sich dieser Akt als „founding subordination“ begreifen, der gleichermaßen eine „scene of agency“ darstellt und eröffnet – Ermächtigung und Entmachtung zugleich also (Butler 1997: 38). Keineswegs soll in Abrede gestellt werden, dass Pseudonymität und Anonymität sozialen, kulturellen und politischen Zwängen geschuldet sein können, noch auch, dass dies soziale, kulturelle und politische Konsequenzen – wie etwa eine fehlende Traditionsbildung – zur Folge haben. Doch möchte ich nichtsdestotrotz den handlungsmächtigen Aspekt der Selbst-Benennung im Pseudonym in den Blick nehmen, dem bisweilen ein ironischer, spielerischer, kurzum: listiger Zug innewohnt.[10] Ich verstehe List dabei in Anlehnung an Michel de Certeau als Taktik,[11] die er in „Lʼinvention du quoditien“ von der Strategie unterscheidet. Taktik bestimmt Certeau als „art du faible“, die immer im Feld des Anderen, soll heißen: im Feld der Macht(-strategien) operiert, und somit kein Eigenes kennt (De Certeau, 1990, 60). Auf diese Weise wird es möglich, die List des Pseudonyms als eine zu begreifen, die sich notwendigerweise auf bestehende Machtformen – in diesem Fall: die Politik des Eigennamens – bezieht, diesen aber durch listige Aneignung ein Schnippchen schlägt. Verdeutlichen werde ich dies anhand eines autobiographischen Textes, dem genau das fehlt, was Philippe Lejeune zufolge konstitutiv für den autobiographischen Pakt ist: der Autorname.

34 Unter dem Pseudonym N.O. Body erscheint 1907 ein Buch mit dem Titel „Aus eines Mannes Mädchenjahren“.[12] Titel und Pseudonym eröffnen ein Spannungsfeld, in dem Geschlechtlichkeit auf prominente Weise zugleich lesbar und unlesbar gemacht, eingetragen und ausgestrichen wird. Noch bevor der Leser/die Leserin den eigentlichen Erzählraum betritt, gibt der Paratext – der Titel „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ – in kondensierter Form die konstitutive Wende zu lesen, um die die Lebensgeschichte der Protagonistin/des Protagonisten kreist. Der Titel ruft die für den Bildungsroman wie für die Autobiographie im 19. Jahrhundert wesentlichen Begriffe der Entwicklung respektive der Konversion auf, durchkreuzt das beiden Begriffen inhärente narrative Moment jedoch mittels eines Paradoxons. Denn nicht von den Lehr- oder Wanderjahren eines Wilhelm Meisters, dessen sprechender Nachname bereits den Zielpunkt der Entwicklung – Herrschaft, Bemeisterung – in sich trägt, ist hier die Rede. Aufs Engste kommt vielmehr zusammen was eigentlich nicht, oder zumindest nicht so, zusammengehört: eines „Mannes Mädchenjahre“; heißt: vom Mädchen zum Mann, oder, wie aus einem Mädchen ein Mann wurde. Eine geschlechtliche Konversion, und damit ein Skandalon steckt also in diesem Titel, der auf diese Weise sicherlich dazu angetan ist, die Neugier des Lesers/der Leserin zu wecken.[13]

35 Während der Titel Geschlechtlichkeit durch die (auto-)biographische Verflechtung von Mann und Mädchen in den Vordergrund rückt, streicht das Pseudonym Geschlechtlichkeit doppelt aus. Wer des Englischen kundig ist, erkennt, dass das Pseudonym zwei Wörter zu einem Namen amalgamiert, dass in (oder hinter?) N.O. Body nobody, N/niemand, und no body, kein Körper, steckt. Auf den ersten Blick ist somit manifest, dass es sich um ein Pseudonym handelt, ein Pseudonym obendrein, in welchem der Name zum Wort (no body) und zum Anonym (nobody) anbricht, dies allerdings nur durch den Wechsel in eine – bedenkt man den Erscheinungskontext, nämlich Deutschland – fremde Sprache.

36 Das Pseudonym oszilliert überdies zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Wer versucht, N.O. Body auszusprechen, den Autor/die Autorin tatsächlich beim pseudonymen Namen zu nennen, muss entweder das Verschwiegene der Schrift, nämlich die Satzzeichen, ins Mündliche mit eintragen und also „N Punkt O Punkt Body“ sagen oder aber unweigerlich beim Aussprechen das Pseudonym zum Wort und/oder zum Anonym anbrechen lassen. Als Name – und nicht als Wort – lesbar, und gar laut lesbar, ist das Pseudonym mithin nur schwerlich, insofern sich in der lauten Aussprache der Wechsel in die fremde Sprache und damit ins Wort bzw. Anonym vollzieht. Als Name ist N.O. Body vor allen Dingen auf der Ebene des Schriftbildes erkennbar, da die Buchstaben N und O durch die Hinzufügung eines Punktes als Initialen markiert werden, die potentiell auf (mindestens) zwei Vornamen verweisen.[14] Ob sich hinter den Initialen allerdings zwei männliche, zwei weibliche oder ein männlicher und ein weiblicher Vorname verbergen, bleibt vorerst ebenso unklar wie die Frage unbeantwortet, ob es sich um deutsch- oder englischsprachige Vornamen handelt. Auf diese Weise kann man den Namen N.O. Body zwar (stumm) lesen, aber nur bedingt hören und/oder aussprechen. Das Pseudonym setzt als Name mithin auf eine ebenso listige wie paradoxe Gleichzeitigkeit von Lesbarkeit und Nicht-Hörbarkeit, womit letztlich die (durch Lautlichkeit produzierte) semantische Bedeutungsebene (nobody, no body) gewitzt ins Schriftbild eingetragen ist. Doppelt ausgesetzt bleibt so aber genau jene das Lesen leitende Frage nach dem Autor/der Autorin, die über die Lektüre des Eigennamens eine Stimme, ein Gesicht, das Geschlecht und damit die Instanz des Autors/der Autorin als das ‚Ich vor dem Text‘ setzt.

37 Mit der Initialisierung verunmöglicht ist zudem und vor allen Dingen die geschlechtliche Lesbarkeit, die zudem auch durch die im Titel angezeigte geschlechtliche Konversion in der Schwebe gehalten wird. Liest man das Pseudonym als Wort, respektive als die beiden englischen Wörter no body und nobody, dann streicht es das Geschlecht oder genauer: die Geschlechter aus, die im Titel ebenso prominent wie paradox präsent sind. Gerade die Doppelung und Überkreuzung der beiden Termini nobody/no body eröffnet dabei eine Vielzahl an Bedeutungen: dass N/niemand keinen Körper besitzt; dass, wer keinen Körper besitzt, N/niemand ist; dass der/die, der/die Niemand heißt, keinen Körper besitzt; und schließlich, bedenkt man die in den Titel eingetragene geschlechtliche Konversion: wer von einem Geschlecht ins andere wechselt, ist (ein) N/niemand, fällt dem symbolischen Tod anheim.

38 Diese Verzahnung von Titel und Pseudonym mit den hieraus sich entfaltenden Bedeutungen erhält vor dem Hintergrund von Judith Butlers Verwerfungsthese eine besondere Virulenz. Butler zufolge fallen in der modernen Geschlechterordnung all diejenigen, die keine eindeutige, stabile, lebenslange Geschlechtsidentität haben, aus dem ontologischen Bereich des Menschlichen heraus. Von besonderem Interesse für den hier zur Diskussion stehenden Zusammenhang ist dabei, dass Butler diese These unter anderem anhand einer Lektüre der Autobiographie von Adélaïde Herculine Barbin entwickelt (vgl. Butler 2007: 127-150). Es handelt sich dabei um einen Text, der in unmittelbarer Zeitgenossenschaft zu „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ steht, ja, als dessen Vorläufer gelten kann.

39 Der Fall Barbin erregte sowohl im späten 19. Jahrhunderts als auch nach seiner Wiederentdeckung und Neuauflage durch Michel Foucault in den 1970er Jahren Aufsehen. Als Mädchen vorwiegend in Klöstern und Mädchenpensionaten der französischen Provinz erzogen, wurde Barbin 1860 als männlicher Pseudo-Hermaphrodit diagnostiziert. Es folgte der juridische Wechsel des Geschlechtsstatus wie des Namens: Aus Adélaïde Herculine wurde Abel Barbin. Wenige Jahre später beging Barbin, nunmehr in Paris lebend, Selbstmord. Neben dem toten Körper fand man ein Manuskript mit dem Titel „Mes Souvenirs“, das der Gerichtsmediziner Ambroise Tardieu 1874 in seiner Abhandlung „Question médico-légale de l’identité“ erstmals veröffentlichte.

40 Die stilistische Besonderheit der Autobiographie – das autobiographische Ich apostrophiert sich abwechselnd als männlich und weiblich – sowie die damit einhergehende Schwierigkeit, sein/ihr Begehren zu artikulieren und als entweder hetero- oder homosexuell zu benennen, die Tatsache, dass Barbin sich in seinem ‚wahren‘ männlichen Geschlecht keine soziale Existenz aufbauen konnte und schließlich Selbstmord beging – all dies liest Butler als Instanzen des gewaltsamen Ausschlusses Barbins durch die heterosexuelle Zweigeschlechterordnung. Dem symbolischen Tod – verstanden als Unmöglichkeit, in der Sprache einen Ort zu finden – folgt der tatsächliche Tod. Barbin zählt für Butler deshalb zu jenen „verworfenen Wesen, die geschlechtlich nicht richtig identifiziert zu sein scheinen“, und dient ihr als Beispiel für die „radikalen Auslöschungen, denen die Möglichkeit kultureller Artikulation regelrecht verwehrt wird“ (Butler 1997: 30).[15]

41 In dieser kurzen Rekapitulation deutet sich bereits an, dass Barbins Fall sowohl zeitlich als auch thematisch in unmittelbarer Nähe zu „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ steht. Die Lektüre des autobiographischen Textes ebenso wie die Lektüre der Paratexte, die „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ flankieren,[16] weisen darauf hin, dass die Lebensgeschichte, die darin erzählt und durch die Paratexte beglaubigt wird, einem ähnlichen narrativen Muster wie Barbins Geschichte folgt. Aus dem Vergleich beider lässt sich mithin der Schluss ziehen, dass die Wahl des Pseudonyms im Falle N.O. Body und die hierdurch ermöglichte wie notwendige ‚Verhüllung‘ der Identität (nicht aber des Geschlechts) einen Schutz darstellt, der im wahrsten Sinne des Wortes Überleben sichert: Die Aufgabe des Eigennamens im Pseudonym ermöglicht das Weiterleben der ‚realen‘ Person ‚hinter‘ dem Pseudonym. Oder genauer: Es bedarf der Wahl des Pseudonyms aufgrund der im Titel angezeigten geschlechtlichen Konversion; da diese allerdings das zentrale Moment dieser Lebensgeschichte darstellt, muss die Identität – der ‚richtige‘ Name – verhüllt, die Besonderheit dieser Identität – die geschlechtliche Konversion – aber enthüllt werden. In eben dieser Gleichzeitigkeit von Verbergung des Namens und Offenbarung der Geschlechtlichkeit des Namensträgers/der Namensträgerin besteht die subtile List dieses Pseudonyms. Die geschlechtliche Lesbarkeit des Subjekts „vor“ oder „hinter“ dem Text wird nicht nur ermöglicht, sondern geradezu provoziert, zugleich jedoch erteilt das Pseudonym – qua Pseudonym, aber auch in der Besonderheit genau dieses Pseudonyms N.O. Body – jedweder geschlechtlichen Lesbarkeit eine Absage.

42 Das Pseudonym fungiert hier ganz offenkundig als Maske, die das Subjekt vor der Verletzbarkeit im/durch den Namen schützt. Listig ist, dass diese Namens-Maske den konstitutiven Zusammenhang von Geschlechtlichkeit und Namhaftigkeit ausbuchstabiert, indem das Pseudonym Geschlechtlichkeit als etwas Hervorzubringendes sichtbar werden lässt. Ein weiterer Aspekt der taktischen Listigkeit N.O. Bodys lässt sich mit David A. Brenner herausstellen, der in seiner Analyse das Augenmerk auf die strategische Platzierung, Aufmachung sowie die narrativen Strategien des Buches legt. Ohne Brenners Argumentation hier en détail nachvollziehen zu können,[17] möchte ich seine zentrale These rekapitulieren, wonach die Autobiographie wie die sie begleitenden Paratexte „the popular concept of self-hatred“ (Brenner 1998: 33) in Szene setzen. Diese Inszenierung zielt Brenner zufolge vor allen Dingen auf kommerziellen Erfolg ab: „the trope [of self-hatred] was designed to appeal to large middle class audiences that partook of cheap entertainments and sensationalistic books“ (Brenner 1998: 34). Für eine solche Erwartungshaltung des Lesepublikums der Jahrhundertwende spricht nicht nur eine ganze Fülle „medico-libertiner Literatur“ in jener Zeit (Foucault 1998: 172),[18] sondern auch die Auflagenstärke und Verbreitung sexualpathologischer Werke selbst über den medizinischen Kontext hinaus. Prominentes Beispiel hierfür ist wohl Richard von Krafft-Ebings „Psychopathia Sexualis“, über dessen großen Erfolg sich der Autor im Vorwort zur 11. Auflage selbst überrascht zeigt (vgl. Krafft-Ebing 1997: vi).

43 Brenners These folgend, möchte ich die Wahl des Pseudonyms und das intrikate Zusammenspiel von Pseudonym und Titel als List begreifen, die jenes sensationalistische Leseinteresse eines breiten Publikums zugleich bedient und unterläuft – eine Taktik, die angesichts der Rezeption und Verbreitung des Buches als gelungen gelten muss: „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ löste ein lebhaftes Echo aus und wurde in literarischen und medizinischen Zeitschriften gleichermaßen lobend rezensiert; es erschienen 6 Auflagen, das Buch wurde zweimal, 1912 und 1919, verfilmt (vgl. Simon 1993: 191f.). Die Wahl des Pseudonyms kann vor diesem Hintergrund als Akt der Selbst-Benennung begriffen werden, der nicht nur dem Schutz des Subjekts dient. Vielmehr stellt sich dieser Akt im Sinne Pierre Bourdieus auch als ökonomisch kluger Schachzug im literarischen Feld der Jahrhundertwende dar.[19]

44 Die Wahl des Pseudonyms erscheint schließlich umso listiger, als die Selbst-Benennung zugleich ein Akt der Ent-Nennung oder Nicht-Benennung ist. Die Aufgabe des Namens kommt im Pseudonym N.O. Body – gelesen als nobody – der Aufgabe von Namhaftigkeit überhaupt gleich. In diesem Zusammenhang auf Listigkeit zu insistieren liegt insofern nahe, als das Pseudonym damit eine prominente Szene der Literatur aufruft, in der Namenlosigkeit zur lebensrettenden List wird: die im 9. Gesang der „Odyssee“ erzählte Episode zwischen Odysseus und dem Kyklopen Polyphem.[20] Auch im homerischen Intertext sichert die Aufgabe des Namens, genauer: seine Wendung ins Anonym im wahrsten Sinne des Wortes Überleben.

45 Odysseus und seine Gefährten entrinnen nämlich, um an dieser Stelle nur die Grundzüge dieses Abenteuers zu rekapitulieren, durch eine doppelte List der Gefangenschaft in Polyphems Höhle und damit dem sicheren Tod. Nachdem Odysseus den Kyklopen betrunken gemacht und geblendet hat, flieht er mit seinen Gefährten. Die Flucht gelingt unter anderem auch deswegen – und hierin besteht die eigentlich sprachliche List der Geschichte –, weil Odysseus zuvor, von Polyphem nach seinem Namen gefragt, geantwortet hatte: „Meinen berühmten Namen, Kyklop, nach dem du mich fragtest,/ Will ich dir sagen; […]/ Niemand ist mein Name, und Niemand nennen mich immer,/ Mutter und Vater und sonst auch alle meine Gefährten.“ (Odyssee IX: 364-367) So kann der geblendete Polyphem den anderen, zu Hilfe eilenden Kyklopen auf ihre Fragen nur antworten, dass niemand ihm Gewalt angetan habe (vgl. Odyssee IX: 399-408).

46 Achim Geisenhanslüke zufolge verhandelt diese Episode wie auch die gesamte „Odyssee“ die „Gefahr für den ruhmreichen Helden, in der Namenlosigkeit zu verschwinden“ (Geisenhanslüke 2006: 32). Die paradoxe und durchaus riskante List des Odysseus besteht demzufolge in der Selbstbehauptung durch Selbstverleugnung: Odysseus bedient sich der List der Namenlosigkeit, um im buchstäblichen Sinne des Wortes Überleben zu sichern. Doch birgt die Namenlosigkeit, die Leben rettet, zugleich die Gefahr der symbolischen Auslöschung. Letztlich wird Namenlosigkeit im antiken Epos deshalb dazu funktionalisiert, den ruhmreichen eigenen Namen (neuerlich) in die Geschichte einzuschreiben. Dies zeigt sich nicht nur darin, dass Odysseus schlechterdings nicht anders kann, als seinen Namen schließlich doch noch preiszugeben und sich und seine Gefährten damit erneuter Gefahr auszusetzen.[21] Vielmehr basiert die listige Selbst-Benennung, die zugleich Ent-Nennung ist, auf einem Wortspiel mit dem Namen Odysseus. Das griechische Niemand (outis) nämlich knüpft am lautlichen Material des Namens Odysseus an, „der zahlreiche mit Ut-anlautenden Formen aufweist“ (Strowick 2004: 565). Im Falle Odysseus’ besteht die List dementsprechend nicht (nur) in der Überkreuzung des Eigennamens mit dessen Negation, also in der Tatsache, dass im Namen ‚Niemand‘ „singuläre Existenz (Eigenname) und Nicht-Existenz (niemand) zusammen[fallen]“ (Strowick 2004: 567). Listig ist Odysseus’ Akt vielmehr deshalb, weil die paradoxe Gleichzeitigkeit von Benennung und Verleugnung in seinem Namen selbst begründet liegt: „Sie vollzieht sich als phonetische Ausreizung des Namens [Odysseus] bis hin zu seiner eigenen Ausstreichung“ (ebda.).

47 Während in der „Odyssee“ ‚Niemand‘ den Eigennamen auf diese Weise nicht substituiert, sondern dessen phonetischer Effekt ist, funktioniert das Pseudonym N.O. Body als Substitution des Eigennamens. Gleichwohl setzt auch das Pseudonym N.O. Body mit der ihm inhärenten Doppelung von nobody/no body ein Wortspiel in Szene, das Helga Thorson zufolge insofern als ironisch bezeichnet werden kann, als „the body itself is very much present in Body’s autobiography“ (Thorson 2009: 151). Thorsons Schreibweise rückt die Paradoxie ins rechte Schriftbild: Denn ironisch ist nicht nur die offensive Ausstreichung des Geschlechts(körpers) im/durch das Pseudonym bei gleichzeitiger manifester Präsenz des Geschlechts(körpers) im Titel selbst. Vielmehr ist der Körper im Pseudonym selbst zugleich präsent und negiert: als der sprechende ‚Nachname‘ Body und als Negation no body. Hatte Goethe in seiner Autobiographie die körperliche Verwachsenheit von Name und Namensträger/in beschworen, findet sich hier im Namen selbst auf paradoxe Weise Körperlichkeit mit deren Negation verzahnt. Und während Goethe mittels rhetorischer Figuren auf die Nicht-Rhetorizität des Namens abstellt, stellt das Wortspiel, welches das Pseudonym treibt, die konstitutiv rhetorische Maskierung im Namen aus.

48 Wenn die Namenslist des ‚Niemand‘ darin besteht, dass Eigenname mit dessen Negation, singuläre Existenz und Nicht-Existenz, Name und Ausstreichung des Namens zusammenfallen, dann potenziert das Pseudonym N.O. Body diese paradoxe und letztlich dekonstruktive Struktur noch um ein Vielfaches. Nicht nur Name und Namenlosigkeit, singuläre Existenz und Nicht-Existenz fallen in diesem Pseudonym zusammen, sondern auch Name und Wort (N.O. Body, no body, nobody) sowie Körperlichkeit und Nicht-Körperlichkeit (Body und no body). N.O. Body lässt sich somit als Pseudonym begreifen, das (sich selbst) enteignet; das im Akt der Benennung einen Ausfall der Benennung betreibt. Einer Politik des Eigennamens, die seit Goethe auf der Einheit und Reinheit sowie auf der Nicht-Sprachlichkeit des Namens qua einer Rhetorik der Körperlichkeit insistiert, dabei aber den Geschlechtskörper verstellt, setzt N.O. Body eine Taktik des Pseudonyms entgegen, die ein Mehr an Bedeutungen produziert, Geschlechtlichkeit auf prominente Weise zugleich aufruft und negiert und somit schließlich die eminent sprachliche Verfasstheit von Name und Namensträger/in in den Vordergrund rückt.

4. Fazit

49 In den obigen Ausführungen habe ich unter dem Begriff der List unterschiedliche Aspekte von Pseudonymität entfaltet: Wesentlich ging es zunächst darum, den handlungsmächtigen Aspekt der Selbst-Benennung in den Vordergrund zu rücken, ohne dabei die sozialen, ökonomischen und symbolischen Zwänge außer Acht zu lassen. Pseudonymität fungiert auch im Falle N.O. Body als Schutz angesichts einer modernen Zweigeschlechterordnung, in der geschlechtliche Nicht-Intelligibilität potentiell den symbolischen oder realen Tod zur Folge hat.

50 Doch leistet das Pseudonym N.O. Body mehr bzw. anderes als eine sprachliche Maske und damit einen Schutz zur Verfügung zu stellen. Indem es Geschlechtlichkeit aufruft und ausstreicht und indem es den (Autor-)Namen ins Wort und ins Anonym auffaltet, treibt N.O. Body ein hintergründiges Spiel mit der Politik des Eigennamens. Dass dabei letztlich auch ökonomische Überlegungen eine Rolle spielen, lässt sich unter anderem daran erkennen, dass die Besonderheit der Autobiographie – die geschlechtliche Konversion – sowohl im Titel als auch im Pseudonym prominent in Szene gesetzt werden, wodurch nicht zuletzt eine spezifische Leseerwartung bedient wird.

51 Der konstitutiven Verletzlichkeit des Subjekts im Namen setzt das Pseudonym einen Akt der Selbst-Benennung entgegen, der im Falle von N.O. Body einer bewussten Ent-Nennung gleichkommt. Im homerischen Intertext, der durch das nobody aufgerufen wird, ist die eminent körperliche Verletztlichkeit des Subjekts präsent, und es ist wiederum die Aufgabe des Namens, die in der Episode aus der „Odyssee“ Überleben sichert. Die Namenslist des ‚Niemand‘, die das Pseudonym N.O. Body betreibt, erteilt schlussendlich der von Foucault mit Beckett gestellten Frage nach dem Autor – „Wer spricht?“ – eine ebenso gewitzte Antwort wie sie Odysseus dem Kyklopen Polyphem gab.

Anmerkungen

  1. Genauer gesagt setzt Goethe mit der Negation einer Metapher („nicht etwa ein Mantel“) ein, der er eine weitere Metapher („ein vollkommen passendes Kleid“), sodann einen Vergleich („wie die Haut selbst“) entgegenstellt. Die metonymische Bewegung vom Mantel zum Kleid zur Haut vollzieht dabei eine gleichermaßen erotische wie kognitive Enthüllung, sodass am Ende die „Wahrheit“ des Namens über die Blöße des Körpers aufgedeckt zu sein scheint. Auf den Umstand, dass mit dem Namen immer auch – und sei es durch Negation – der Zusammenhang von Sprache und (Geschlechts-)Körper aufgerufen ist, werde ich im Laufe meiner Argumentation noch zu sprechen kommen.
  2. Deborah Jenson expliziert die Barthes’ Diktum inhärente, jedoch selten wahrgenommene geschlechtliche Markierung: Vom Tod des Autors durch die Geburt des Lesers zu sprechen „suggests the metaphor of the author as a mother who dies in labor“ (Jenson 2001: 90).
  3. Entsprechend stellt Gerhard Lauer den performativen Selbstwiderspruch heraus, der Barthes’ stärker noch als Foucaults Analysen inhärent ist. Die These vom Tod des Autors stütze sich erstens auf ausgewählte Selbstdeutungen bestimmter Autoren, die gleichwohl allesamt eine Demontage des modernen Autor-Gottes betrieben; sie basiere zweitens auf einem aus diesen Selbstdeutungen abgeleiteten, poetologischen Wissen (vgl. Lauer 1999: 215f.). Folglich setze, so Lauer weiter, die These vom Tod des Autors eine „kanonische Bewertung bestimmter Autoren immer schon voraus“ (Lauer 1999: 217).
  4. So bestimmt Foucault denn auch den Autornamen als eines der für die Analyse der Autor-Funktion zentralen Elemente (vgl. Foucault 2003: 234 und 242f.).
  5. „Die Formulierung des Themas, von dem ich ausgehen möchte“, so leitet Foucault seinen Vortrag zur Autor-Funktion ein, „entnehme ich Beckett: ‚Was liegt daran, wer spricht, hat jemand gesagt was liegt daran wer spricht?‘“ (Foucault 2003: 238).
  6. Wobei an dieser Stelle auf den problematischen Umstand hinzuweisen ist, dass hier moderne Konzepte von Autorschaft und Werk auf einen frühneuzeitlichen Text angewandt werden.
  7. Butler qualifiziert die ursprüngliche Benennung bzw. Benennbarkeit durch den Anderen an anderer Stelle gar als traumatisch (vgl. Butler 1997: 38).
  8. Susanne Kord markiert zudem einen Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Pseudonymität bzw. Anonymität, den sie an drei Faktoren zurück bindet: „Motivation zur Anonymität und Gebrauch des Pseudonyms seitens der Autorin (im Gegensatz zum Autor), […] unterschiedlich[e] Literaturgeschichte von Frauen und Männern, die eine unterschiedliche Geschichte ihrer Anonymität und Pseudonymität bedingt, und schließlich […] unterschiedlich[e] Auswirkungen weiblicher und männlicher Pseudonymität auf ihre Rezeption“ (Kord 1996: 16).
  9. Sigrid Nieberle führt aus, dass die Arbeiten von Kord und Hahn, die sich als empirische Vorarbeiten zu einer alternativen Literaturgeschichte verstehen, erst in einem zweiten Schritt eine ästhetisch orientierte Lektüre vollziehen. Ausgeblendet bleibe damit allerdings zunächst die Möglichkeit, dass Autorinnen früherer Zeiten literarisch innovativ gewirkt haben könnten (vgl. Nieberle 1999: 266).
  10. Susanne Kord zufolge illustrieren zwar Pseudonyme bisweilen „diskret die Haltung der Autorin zu ihrer eigenen Namenlosigkeit“ (Kord 1996: 15). Ironie oder Witz aber scheinen in jedem Fall die Haltung der Autorinnen nicht zu kennzeichnen – was angesichts von Pseudonymen wie „Scholastika Schnurcks“ oder „Schwucht von Zinken“ durchaus erstaunt. Wer sich „Schwucht von Zinken“, „Josef Trieb“ oder „Werner Kraft“ nennt, mag durchaus, wie Kord meint, dem Umstand Rechnung tragen, dass unter männlichem Pseudonym veröffentlichte Werke bessere Chancen haben, ernst genommen zu werden (vgl. Kord 1996: 15). Ließe sich aber nicht zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass in diesen Pseudonymen mit ihrer Hypostasierung des Phallischen zugleich eine diskrete Ironisierung von Männlichkeit betrieben wird?
  11. De Certeau bezeichnet die Taktik an anderer Stelle auch als List und stellt über Clausewitz und Freud eine Verbindung zur Sprache her: „Clausewitz compare également la ruse au mot d’esprit: ‚De même que le mot d’esprit est un tour de passe-passe relatif à des idées et à des conceptions, la ruse est un tour de passe-passe relatif à des actes.‘“ (De Certeau, 1990: 61).
  12. Wiewohl keiner der mir bekannten Sekundärtexte umhin kommt, die Merkwürdigkeit und Auffälligkeit des Pseudonyms wie des Titels zu konstatieren, ist meines Wissens nach bislang keine Untersuchung erschienen, die sich eingehend mit dem Pseudonym beschäftigt.
  13. Sander Gilman zufolge betont die Wahl eines englischen Pseudonyms die Fremdheit und damit den Außenseiter-Status des Autors/der Autorin, verweist zugleich aber – gerade durch die Wahl eines fremdsprachigen Terminus – auf dessen/deren Bildung (vgl. Gilman 2006: vii).
  14. Im Text selbst finden sich zwei Vornamen für das Initial N: Das autobiographische Ich apostrophiert sich als Mädchen und in der Vergangenheit als Nora, nach dem ‚Wechsel‘ ins männliche Geschlecht als Norbert.
  15. Für eine ausführlichere Analyse der grammatologischen Strategien in der Autobiographie Barbins sowie deren Rezeption im Kontext der Queer Studies siehe Imlinger 2014.
  16. Der Verleger und Schriftsteller Rudolf Presber verfasste das Vorwort, der Sexualwissenschafter Magnus Hirschfeld das Nachwort zu N.O. Bodys Text.
  17. Als Beispiele für seine These führt Brenner unter anderem die kluge Vermarktung des Buches an: den niedrigen Verkaufspreis von nur 2 Mark 50, die Überkreuzung verschiedener Narrative im Buch („Aus eines Mannes Mädchenjahren“ erzählt auch die Geschichte eines sozialen Aufstiegs) sowie das Renommee Presbers und Hirschfelds (vgl. Brenner 1998: 38f.).
  18. In dem Dossier, das er zusammen mit der Autobiographie Barbins veröffentlicht, erwähnt Foucault Armand Dubarrys Roman „Hermaphrodite“, dessen erste Kapitel offenkundig auf Barbins Geschichte basieren und der 1898 als sechster Band seiner medizinisch-pornographischen Reihe „Les déséquilibrés de l’amour“ erscheint. In die überarbeitete englische Auflage nimmt Foucault 1980 zudem auch Oscar Panizzas Erzählung „Ein scandalöser Fall“ (1893) auf, die Barbins Geschichte ins 18. Jahrhundert transponiert und als „eine einzige überreizte Ausschweifung“ erzählt (Foucault 1998: 17). Für den deutschen Sprachraum und damit für „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ lässt sich eine ähnliche Verortung im erotisch-medizinischen Kontext nachzeichnen. So weist Helga Thorson in ihrer Analyse einer zeitgenössischen Rezension von „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ darauf hin, dass das Buch unter anderem deshalb positiv rezensiert wurde, weil es sich von anderer erotisch-intimer Bekenntnisliteratur der Zeit absetzt (vgl. Thorson 2009: 152). Zwar mögen Rezension wie auch Presbers und Hirschfelds Paratexte sich darum bemühen, „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ von Büchern wie Margarete Böhmes „Tagebuch einer Verlorenen“ (1905) oder Josephine Mutzenbachers „Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt“ (1906) abzugrenzen. Doch bleibt ein negativer Bezug gleichwohl ein Bezug, der letztlich davon zeugt, dass „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ unweigerlich im Kontext eben dieser Werke wahrgenommen wurde.
  19. An dieser Stelle sei noch einmal an Susanne Kords Befund angeschlossen, wonach die Wahl eines männlichen Pseudonyms dem Umstand Rechnung trägt, dass unter männlichem Pseudonym veröffentlichte Werke bessere Chancen haben, ernst genommen zu werden (vgl. Kord 1996: 15). Bei N.O. Body kommt dabei wiederum zum Tragen, dass die Vereindeutigung des Geschlechts durch die Wahl eines männlichen oder weiblichen Pseudonyms den entscheidenden – und eben auch ökonomisch entscheidenden – Aspekt der Autobiographie verbergen würde.
  20. Meines Wissens nach hat Sander Gilman bislang als einziger explizit eine Verbindung zwischen dem Pseudonym N.O. Body und der Namenslist des Odysseus hergestellt, ohne sich jedoch systematisch mit dieser Verbindungslinie auseinanderzusetzen (Gilman 2006: vii).
  21. Selbst seine Gefährten können ihn nicht davon abhalten, dem wütenden Kyklopen von der Sicherheit des bereits in See gestochenen Schiffs aus seinen Namen entgegenzuschleudern: „Sollte dich irgendwer, Kyklop, von den sterblichen Menschen/ Einmal fragen nach deines Auges schmählicher Blendung,/ Sag ihm, daß es Odysseus, der Städtezerstörer, geblendet,/ Sohn des Laertes, welcher in Ithaka hat seine Häuser.“ (Odyssee IX: 502-505)

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  • Lausberg, Heinrich (1990): Handbuch der literarischen Rhetorik. 3. Auflage. Stuttgart: Franz Steiner Verlag.
  • Menke, Bettine (1996): Prosopopoiia. Stimme und Text bei Brentano, Hoffmann, Kleist und Kafka. München: Fink Verlag.
  • Miller, Nancy K. (1986): The Poetics of Gender. New York: Columbia University Press.
  • Nieberle, Sigrid (1999): Rückkehr einer Scheinleiche? Ein erneuter Versuch über die Autorin. In: Fotis, Jannidis u.a. (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, S. 255-272.
  • Schestag, Thomas (1991): Parerga. Zur literarischen Hermeneutik. München: Klaus Boer Verlag.
  • Simon, Hermann (1993): Wer war N.O. Body? In: Body, N.O.: Aus eines Mannes Mädchenjahren. Berlin: Edition Heinrich, 1993, S. 167-246.
  • Spoerri, Myriam (2003): N.O. Body, Magnus Hirschfeld und die Diagnose des Geschlechts. Hermaphroditismus um 1900. In: L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, Bd. 2, 2003, S. 244-261.
  • Stiegler, Bernd (1994): Die Aufgabe des Namens. Untersuchungen zur Funktion der Eigennamen in der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. München: Fink Verlag.
  • Strowick, Elisabeth (2004): ‚Lauter Niemand‘. Zur List des Namens bei Homer und Kafka. In: Modern Language Note, Bd. 199, H. 3, German Issue (April 2004), S. 564-579.
  • Thorson, Helga (2009): Masking/Unmasking Identity in Early Twentieth-Century Germany: The Importance of N.O. Body. In: Women in German Yearbook. Feminist Studies in German Literature and Culture, Bd. 25, S. 149-17.

Autorin

Fabienne Imlinger
Ludwig-Maximilians-Universität, München, Wissenschaftliche Koordinatorin des DFG-Graduiertenkollegs "Funktionen des Literarischen in Prozessen der Globalisierung"

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